Phillip P. Peterson – Vakuum

Dieses Buch erhielt von Lucyda 4 Sterne

Katastrophen, Science-Fiction, kühne Ideen – all das mag ich und all das finden wir in diesem Roman von Phillip P. Peterson. Die Menschheit steht vor einem riesigen Problem, das sich nicht lösen lässt, aber jeden einzelnen betrifft. Was tun? In gewohnt nüchternem Schreibstil können wir hier eine sehr dramatische Geschichte lesen, die mich ans Buch gefesselt hat.

Cover von Phillip P. Peterson - Vakuum
Phillip P. Peterson – Vakuum

Handlung: So beginnt Vakuum

Autor: Phillip P. Peterson
Titel: Vakuum
Erstveröffentlichung: 2020
ISBN: 978-3-596-70074-5
Seiten: 491

Vakuum spielt nur wenige Jahre in der Zukunft. Peterson präsentiert seine Geschichte mittels dreier Handlungsstränge, bzw. aus der Sicht von drei Hauptfiguren.

Susan ist eine promovierte Physikerin, die zu Beginn der Geschichte einen Forschungsaufenthalt am Südpol absolviert. Dort fängt sie erste alarmierende Hinweise auf, die zunächst auf eine Supernova-Sternexplosion hinweisen. Später zieht sie die richtigen Schlüsse und löst das Rätsel, was die Erde und die Menschheit in Kürze erwarten wird. So bekommt sie auch einen Platz im neu gebildeten Beratergremium für den US-Präsidenten.

Colin, seines Zeichens Astronaut und notorischer Frauenheld, bereitet sich gerade auf die bevorstehende Mondlandung vor. Als seine Mit-Astronautin jedoch ein merkwürdiges Objekt entdeckt, das sich mit hoher Geschwindigkeit durch das Sonnensystem bewegt, wird die Mondlandung erstmal abgesagt. Als Astronaut und damit eine Art Spezialist in Sachen Raumflügen wird auch er mit in das Beratergremium gerufen.

Pala ist eine junge Frau, die mit ihrem Stamm durch die Wälder zieht. Dieser Handlungsstrang bleibt zunächst unklar: Was hat das mit der eigentlichen Geschichte zu tun? Recht schnell wird das jedoch auch klar. Palas Sicht eröffnet einen anderen Blick auf die Geschichte und erhellen sie um ein wichtiges Puzzlestück.

Spoilerfreie Rezension zu Vakuum

Eine aussagekräftige Rezension zu Vakuum fällt mir schwer, weil alles, was mich begeistert, schon ein Spoiler wäre. Deswegen werde ich zunächst eine kleine spoilerfreie, aber abgespeckte Rezension schreiben und danach genauer darauf eingehen, warum ich das Buch so gut finde.

Was erwartet dich in Vakuum?

  • Eine Katastrophen-Geschichte, die Peterson in drei Handlungssträngen ausbreitet
  • Science-Fiction, aber recht wenig Weltraum-Fliegerei wie z.B. in Paradox
  • Atemberaubte bekannte theoretische Konzepte, die Wirklichkeit werden (ich verrate hier nichts ^^)
  • Spannung in Form von „Klappt das?“
  • Menschen, die vor sehr schweren Entscheidungen stehen
  • Das Gefühl, froh zu sein, die Geschichte nur zu lesen und nicht zu erleben
  • Relativ wenig zwischenmenschliche Beziehungen

Für mich stellte sich Vakuum als wahrer Pageturner heraus, ich wollte immer wissen, wie es weitergeht. Außerdem beweist Peterson wieder, dass er einfach Fantasie hat und Geschichten schreiben kann, die Leser in ihren Bann ziehen :D

Figuren und Schreibstil

Die Charaktere sind nicht die Stärke der Geschichte. Sie bleiben relativ blass. Peterson versucht zwar offensichtlich, ihnen Leben einzuhauen, indem er ihnen ein wenig Hintergrundgeschichte zugesteht. Doch meiner Meinung nach wirkt das aufgesetzt. Seine Figuren haben keine Ecken und Kanten, die sie sympathisch machen würden.

Es ist okay, Charakteren keine Tiefe zu verleihen und sie als reine Objekte zu nutzen, über deren Erlebnisse und Taten die Geschichte erzählt wird. Aber sie wachsen einem auch nicht ans Herz, man empfindet nichts für sie. Das können andere Autoren besser, ich denke da etwa an George R. R. Martin und seine Figuren auf „Game of Thrones“.

Das ist aber auch okay, Peterson ist Physiker und er kann sich fesselnde Storys ausdenken. Von mir aus sollen die Figuren unter den Teppich fallen, wenn die Geschichte gut ist. Glaubhafte Charaktere zu schreiben ist nicht so einfach.

Auch Petersons Schreibstil ist gewohnt schlicht. Keine „Spitzfindigkeiten“, keine Ausdrücke, die im Kopf bleiben, keine humorvollen, lockeren Dialoge. Wenn ich da an meine Rezension von Frank Schätzings „Der Schwarm“ denke, wo ich dessen Schreibstil in den Himmel gelobt habe… Das ist überhaupt kein Vergleich.

Bei Peterson müssen sich die Leser eben auf eine nüchterne Sprache gefasst machen, die das tut, wofür sie da ist: Informationen übermitteln.

3 Dinge, die mich an Vakuum ein wenig anfressen…

… die man Peterson aber auch nicht unbedingt alle vorwerfen muss.

Die ersten rund hundert Seiten war ich noch etwas skeptisch mit Petersons Geschichte und seiner Art zu schreiben.

Als Leserin bin ich immer besonders kritisch damit, wie weibliche Figuren dargestellt und beschrieben werden. Eine von Petersons Hauptfiguren, Colin, taxiert alle Frauen in der Geschichte zunächst immer auf „Fuckability“: Die einen Frauen sind sehr schön und hübsch und blond, und andere eben nur mäßig. Ich war schon entrüstet, bis mir klar wurde, dass sich das eben nur auf den einen Charakter, Colin, bezog, und dazu diente, diesen Charakter näher zu beschreiben.

Frauen schluchzen nicht ständig rum!

Der zweite Punkt, den ich aber auch in Büchern immer wieder kritisiere, ist: Frauen weinen und schluchzen. Man muss sie trösten und in den Arm nehmen. Egal, wie wichtig und kompetent die Frau ist, sie bricht doch irgendwann in Tränen aus. Frauen sind ja schließlich von Emotionen gesteuert und wenn die Lage schlimm aussieht, dann wird eben geschluchzt – ist doch so, oder? -.-

Besonders sauer stieß mir eine Szene am Anfang auf. Susan, eine promovierte Physikerin, hat gerade herausgefunden, was die Botschaft der Aliens eigentlich darstellt. Sie überbringt die schockierende Nachricht den anderen Mitgliedern des präsidentennahen Gremiums, zu dem sie auch hört. Nachdem sie die Konsequenzen erklärt hat, herrscht Entsetzen, und sie steht „laut schluchzend“ vor ihrem Whiteboard.

In der Realität bezweifle ich sehr stark, dass eine Frau Merkel oder eine beliebige andere starke Frau in offiziellen Runden offen heulen würde, weil sie nicht mehr weiter weiß. Und ich denke auch nicht, dass das mit dem Alter zu tun hat.

Ich würde mir wirklich den Abschied von diesen peinlichen Tränenshows wünschen. Sie degradieren Frauen zu kleinen, verängstigten Mädchen, und bitte, wir sind nicht mehr in den 50er Jahren!

Amerika, Amerika, Amerika

Nächstes Problemthema: Murica! Peterson ist Deutscher, schreibt aber eine amerikanische Geschichte mit amerikanischen Figuren. Und das macht er sehr realitätsnah. Jemand sollte mal zählen, wie oft das Wort „Amerikaner“ oder „amerikanisch“ im Buch fällt. Es geht um Amerika, Amerika, Amerika.

Die amerikanische Kultur muss bestehen bleiben, so und so viele Amerikaner sind in Gefahr, und nicht zuletzt gilt dann auch America First. Das liest sich alles … zum Kotzen. Aber den schwarzen Peter will ich nicht Peterson zuschieben. Diese auf Amerika-zentrierte Denke ist in dem Land einfach gang und gäbe. Ich verfolge die amerikanischen Nachrichten und lese auch viel US-Twitter, und dort findet man genau das.

Peterson hat also einen guten Job gemacht, wenn es darum geht, den amerikanischen Geist einzufangen. Das sich dabei Kotzen muss, liegt weniger am Autor, sondern eher am Geist.

Vakuum – Wertung

Bewertung: 4 von 5 Sternen

In den letzten Jahren fällt es mir schwer, mich auf Bücher zu konzentrieren. Meistens greife ich abends doch zum Smartphone statt zum Buch. Peterson schafft es mit Vakuum aber, mich völlig in die Geschichte zu ziehen – genau wie auch mit seinem Paradox vor einigen Jahren. Schon morgens freute ich mich auf die Lesestunde abends, und so habe ich Vakuum auch in wenigen Tagen durchgelesen.

Unablässig ratterte mein Gedankenrad: Wow, wie wäre es, wenn die Geschichte Realität wäre? Wie würde ich, wie würden meine Leute, wie würde die ganze Menschheit reagieren? Wenn man sich solche Fragen stellt und darüber nachdenkt, dann hat der Autor alles richtig gemacht :D Dafür bekommt das Buch auch eine 4-Sterne-Wertung von mir.

Bewertungskategorie StoryBewertungskategorie InnovationBewertungskategorie FachwissenBewertungskategorie FigurenBewertungskategorie Lesespaß

» So funktioniert die Buchbewertung


Meine Gedanken zu Vakuum

!!! Achtung! Hier solltest du nur weiterlesen, wenn du das Buch selbst kennst oder dir massive Spoiler nichts ausmachen !!!

Ich warne dich! Keine Geheimisse mehr nach diesem Punkt!

Letzte Chance!

Du bist noch da? Okay, dann breite ich mal aus, was mich so begeistert hat ^^

Kurze Übersicht über die Handlung

Susan entdeckt, dass sich eine Vakuumblase (Stichwort „Vakuumzerfall“) mit nahezu Lichtgeschwindigkeit im Universum ausbreitet und alles „verschluckt“, was sie erreicht. Dazu gehört in rund zwei Jahren auch die Erde. Da helfen weder Atomraketen, wie in diversen Asteroiden-Einschlagsszenarien, noch Bunker, und auch kein schneller Umzug auf eine Mondbasis. Die Erde wird vernichtet, fertig aus. Das finde ich schon gut – meiner Meinung gehen Autoren zu selten diesen Schritt, dass die Katastrophe tatsächlich eintritt. Peterson macht das, das hat er schon in Paradox bewiesen.

Das fremde Objekt, das sich schnell durch unser Sonnensystem bewegt, ist ein fremdes Raumschiff, das vor der Vakuum-Blasenfront flieht. Es fliegt an der Erde vorbei, setzt eine Nachricht ab und fliegt mit fast Lichtgeschwindigkeit weiter. Es hält nicht an, besucht uns nicht, sondern verschwindet für immer. Auch das finde ich klasse an dieser Stelle, darauf komme ich später nochmal.

Der ewige Flug

Die Amerikaner haben nun die wahnsinnige Idee, in kürzester Zeit ein riesiges Raumschiff zusammenzuschweißen, das 2500 Amerikanern die Flucht ermöglichen soll. Es geht bei dieser Flucht nicht darum, diese Menschen zu retten und woanders eine Kolonie zu gründen. Ganz wie das Schiff der Außerirdischen wird diese Arche wird nie wieder landen oder anhalten können. Sie wird bis in alle Ewigkeiten weiterfliegen, da sie sonst von der Blasenfront eingeholt und zerstört werden würde. Man stelle sich diese Dramatik einmal vor.

Der einzige Zweck dieser Arche ist, die „amerikanische Kultur“ zu erhalten. Ein optimistischer Schimmer, dass die Menschheit nicht einfach so im Bruchteil einer Sekunde verschwindet, sondern irgendwie weiter existiert. Was das für eine Existenz ist, wenn alle kommenden Generationen ohne jegliche Aussicht auf Änderung für immer in einem Schiff festsitzen, kann man sich vorstellen – oder vielleicht auch nicht?

Der Bau dieser Arche ist derart tollkühn, dass die USA in die Kriegswirtschaft wechseln und alle Mittel nur noch für das Schiff aufbringen. Ein positiver Nebeneffekt dieses Schiffbaus ist, dass die Menschen halbwegs ruhig bleiben, da eine winzige Chance für jeden besteht, mit an Bord zu dürfen. Das Los soll wählen. Diejenigen, die am Bau der Arche beteiligt sind, bekommen die doppelten Chancen. Anders wäre es kaum möglich, den Bau zu vollenden, denn wofür sollte man denn noch zur Arbeit erscheinen, wenn das Ende doch sowieso vor der Tür steht?

Vakuum beschäftigt sich also auch mit Themen wie dem Zerfall der Gesellschaft angesichts einer unausweichlichen Katastrophe. Und auch damit, welche Menschen ggf. mit an Bord sollen dürften: Wer ist wertvoll genug? So eine Auswahl ist hart genug. So bekommen in Vakuum nur unter 30-Jährige eine Chance, und es dürfen auch keine Angehörigen mitgenommen werden. Wie hart ist das, wenn man zwar ausgewählt wird, aber man muss Partner, Kinder, Eltern und alle zurücklassen, die man kennt?

Und möchte man sich vorstellen, was auf der Erde los ist, wenn die Arche dann abgehoben ist und es wirklich keine Rettungsaussichten mehr gibt für die nächsten sechs Monate, bis die Blasenfront eintrifft?

Wasserstoffbomben treiben das Schiff an

Warum die Arche so tollkühn ist, habe ich bisher nicht erwähnt. Sie soll von der Erde aus starten, und sie ist über einen Kilometer hoch. Und von einem lichtschnellen Antrieb ist die Menschheit auch noch weit weg.

Wie soll dieses Riesenhochhaus denn von der Erde starten? Dazu kramen die Wissenschaftler einen Jahrzehnte alten Entwurf aus, den sogar ich aus meinen früheren Teenager-Jahren noch kannte: Das Raumschiff wird auf einer mehrere zig Meter dicken Stahlplatte aufgestellt und unter dieser Stahlplatte explodieren Wasserstoffbomben. Die Explosionen schieben das Schiff an und befördern es nicht nur vom Erdboden weg, sondern dann im All auch auf hohe Geschwindigkeiten.

Ich hab mich sehr gefreut, diesen Antrieb mal in einer Geschichte zu sehen :D

Eine Welt ohne Himmel

Nach einem russischen und einem chinesischen Fehlschlag schaffen es die Amerikaner dann auch tatsächlich.

Und nun setzt der zweite Teil der Geschichte an, nämlich Palas Handlungsstrang, der mindestens 554 Jahre später spielt. Wir erfahren, dass die Arche weniger ein Raumschiff mit Gängen und Zimmern ist, sondern eine in sich geschlossene Welt innerhalb eines Zylinders. Schwerkraft wird durch die Längsachsendrehung des Zylinders hergestellt. Im Innern des Zylinders gibt es Wälder, Städte, Seen und Häuser, während drei riesige Lampen für Tag und Nacht sorgen.

Stellt euch mal vor, in einer Welt zu leben, in der es keinen Himmel gibt und ihr über euch eine auf dem Kopf stehende Landschaft seht! Pala sieht genau das.

Wir erfahren, dass vor vielen Generationen eine Pest ausgebrochen war, die die Menschen aus der Stadt (im Raumschiff) in die Wälder getrieben hat. „Technik“ soll mit Schuld daran gewesen sein, weswegen die Nachkommen nun nicht nur die Städte, sondern auch Technik selbst mieden. Mit der Zeit verschwand das Wissen um die Flucht von der Erde und darüber, dass man sich in einem Raumschiff befindet. Selbst die Fähigkeit zu lesen ging verloren.

Pala jedenfalls entdeckt nun nach und nach, dass ihre Welt völlig anders ist, als alle immer dachten. Peterson bringt schön rüber, wie wenig vorstellbar ein Universum außerhalb der Welt wäre, wenn man sich im Innern eines geschlossenen Körpers befindet. Kein Himmel, keine Sterne – keine Möglichkeit, einen Blick nach außen zu werfen.

Das müssen wir mal versuchen, uns vorzustellen. Unsere Umwelt wirkt vollständig, in sich geschlossen und logisch. Vielleicht leben wir aber ja nur in einer Schneekugel und stehen auf dem Tisch irgendeines Außerirdischen? Oder wir sind Hologramme? ^^ Ich muss an ein anderes Buch denken, Das Erbe der ersten Menschheit, in dem die Menschheit realisiert, dass vor unserer gesamten Zivilisation bereits eine menschliche Raumfahrerzivilisation existierte.

Ob 550 Jahre allerdings dafür ausreichen, eine hochtechnisierte Gesellschaft ins Mittelalter zu stürzen, wenn sie auf einmal entscheidet, auf Technik zu verzichten und im Wald zu leben? Ich weiß es nicht. Der Vergleich ist nicht perfekt, aber zwischen der von Bildung und Fortschritt geprägten römischen Antike und dem fast völligen Verlust der Alphabetisierung sowie technischer Konzepte verging auch nicht viel mehr Zeit. Eine Zäsur und der Verlust von Struktur und Ordnung kann tatsächlich bewirken, dass Menschen sich nur noch auf das Wesentliche zum Überleben konzentrieren.

In diesem Überblick sind nun schon einige Dinge dabei, die mir gut gefallen haben und über die ich länger nachdenken konnte :D

Fiese Entscheidungen im Angesicht der Apokalypse

Aber hier kommen noch ein paar mehr Dinge, die es mir sehr angetan haben. So muss der US-Präsident einige höchst schwierige Entscheidungen treffen. Wie man die Gesellschaft am Laufen hält, ist da noch die Geringste.

Vernichtet man ein ganzes Land mit Atomwaffen, nachdem dieses eine der eigenen Städte eingeäschert hat? Millionen Tote… die es aber in wenigen Monaten sowieso geben wird? Oder lässt man am Ende der Welt Gnade walten und riskiert weitere Angriffe? Und wie wird die eigene Bevölkerung auf diese Entscheidung reagieren?

Genauso krass und auch überraschend – so sind doch die Amerikaner sonst immer die Guten – ist die Tatsache, dass der US-Präsident alle Menschen seines Landes verrät. Plätze für die Arche verlosen ist zwar schön und fair, kann aber das Unternehmen gefährden, wenn die „falschen“ Menschen gelost werden. Und so startet die Arche früher und lässt alle Menschen zurück, die darauf vertraut hatten, dass die Verlosung noch stattfinden wird.

Und nur die Hoffnung auf Aufnahme in die Arche ermöglichte ja überhaupt, dass Menschen zur Arbeit erschienen und die Arche fertig gestellt werden konnte. Es ist der ultimative Verrat.

Pest oder Cholera?

Susan hält vor dem Besteigen der Arche gegen Ende kurz inne und macht sich etwas bewusst. Es ist ihr letzter Blick auf eine Planetenoberfläche. Nie wieder wird sie echte Berge und Meere sehen, echten Wind spüren und echte Sonnenaufgänge erleben. Auch ihre Nachkommen nicht. Sie alle werden nur noch in einem Raumschiff leben und nie wieder einen Planeten betreten. Wenn man sich das vorstellt, klingt das eigentlich gar nicht so toll.

Möchte man so ein Leben wirklich? Oder wäre es besser, dort zu bleiben, wo man sein Leben verbrachte, anstatt auf alles zu verzichten, was man im Leben hatte – nur um des Überlebens willen?

Auf der anderen Seite, wie viel wäre vom alten Leben übrig, wenn es keinerlei Regierung und Sicherheit mehr gäbe? Spätestens nach dem Abflug der Arche hätte niemand auch nur einen Grund, weiterhin zur Arbeit zu erscheinen. Alles würde zusammenbrechen, die Apokalypse wäre da. Möchte man die letzten Monate bis zum sicheren Ende auf der Suche nach Essen verbringen und sich vor randalierenden Banden verstecken?

Was bleibt von der Kultur der Menschen?

Und was bedeutet es überhaupt, die „amerikanische Kultur“ zu bewahren? Wie viel dieser Kultur ist denn übrig, wenn es keinen Big Apple, kein Hollywood, keine Motels, keine Route 66 etc mehr gibt? Welche Bedeutung haben Literatur und Filme von der Erde, wenn einem diese gesamte Lebensweise völlig fremd und unvorstellbar erscheint? Oder anders gesagt: Wenn der Zweck für die Arche die Bewahrung der (amerikanischen) Kultur war, ist das Unternehmen auch dann erfolgreich, wenn 100 Jahre später niemand der Lebenden mit dieser Kultur mehr etwas anfangen kann?

Was bleibt am Ende von den „früheren“ Menschen und ihrer Kultur?

Peterson deutet das z.B. mit der Bezeichnung „Profess“, von Professor, an. Der Profess des Stammes ist der einzige, der lesen kann und ein wenig über die „Alten“ weiß. Das Wissen der Menschen hat sich zurückentwickelt, genau wie alte Bezeichnungen.

Und wie würden sich Menschen entwickeln, wenn sie nie einen Planeten betreten und keinen Himmel sehen, sondern ihr gesamtes Leben in einer Dose verbringen? Wie würde die zweite Generation, die dritte und vierte Generation das sehen? Irgendwann wären Bilder, Filme und Geschichten von der alten Erde viel zu weit von der eigenen Realität entfernt und völlig unvorstellbar. Vielleicht bestünde kein Interesse mehr an der Erinnerung an die „frühere Menschheit“ und das Erbe, das es zu bewahren gilt.

Könnten diese Menschen überhaupt dauerhaft zusammenleben? Klar, der Zylinder ist recht groß. Dennoch, die Menge an Menschen ist überschaubar, es wäre leicht, jeden einzelnen anderen Menschen zu kennen. Wie würden sich Gesetze entwickeln, wie und welche Strafen bei Verstößen ausgesprochen? Was wäre, wenn man nicht einfach in einen anderen Ort ziehen könnte, weil man die Nachbarn im alten Ort nicht kennt und einfach einen Neuanfang wünscht?

Gemeinsam verloren: Das fremde Raumschiff

Wie weiter oben geschrieben fliegt am Anfang der Geschichte ein fremdes Raumschiff durch unser Sonnensystem. Es flieht vor der Blasenfront, schickt der Erde eine Nachricht und verschwindet für immer. Offenbar haben diese Außerirdischen das gleiche gemacht, wie die Menschen später auch: Ein Raumschiff gebaut, das für immer und ewig unterwegs sein wird.

Am Ende von Vakuum kommt die Sprache nochmal auf das Raumschiff. Die Kommandantin der Arche hat kurz die Überlegung, nach diesem fremden Schiff zu suchen, aber da niemand genau dessen Kurs berechnen konnte, ist es unmöglich, das Schiff jemals wiederzufinden.

Auch das ist sehr dramatisch meiner Meinung nach. Eine außerirdische intelligente, raumfahrende Spezies! Der Erstkontakt mit Außerirdischen! Und er ist so schnell gegangen, wie er gekommen ist. Keine Möglichkeit des Kontakts, des voneinander Lernens. Und natürlich auf der Flucht – keine Möglichkeit des Trostes, da sie ja in der gleichen Situation sind. Es erinnert mich ein wenig an Pilot Pirx und die Geschichte, in der Pirx ein außerirdisches Raumschiff sieht, es aber zu schnell verschwindet, bevor er davon Aufzeichnungen machen kann – so dass ihm niemand glauben wird und die Begegnung somit faktisch nicht stattfand.

Wie bitter, dass sich der Kontakt mit wohlwollenden Außerirdischen auf eine kurze Berührung beschränkt. Und nun fliehen zumindest zwei Schiffe auf alle Ewigkeit durch das Universum und werden sich nie wieder begegnen.

Der lebenswichtige „Ruck“

Und ganz zum Schluss noch eine kleine Genialität. Ich mag Geschichten, die „Ernst machen“. In denen das Unheil nicht in letzter Sekunde durch irgendwelche amerikanischen Helden abgewendet wird. Ich mochte deswegen den Film Deep Impact mehr als Armageddon. In Deep Impact schlägt wirklich ein Asteroid auf der Erde ein, obwohl man die ganze Zeit denkt, dass die Amerikaner das schon verhindern werden. Gut, in Vakuum jedenfalls macht Peterson Ernst und die Erde verschwindet vollständig. Nur ein einzelnes, fliehendes Schiff zeugt noch von der Menschheit.

Obwohl das Weltall quasi leer ist, wird das Schiff wegen des fast lichtschnellen Fluges durch die wenigen Atome im Raum kontinuierlich leicht gebremst.* Deswegen nimmt der Schiffscomputer alle paar Monate eine Triebwerkszündung vor, um die Geschwindigkeit aufrechtzuerhalten. Ohne diese Zündungen würde die Blasenfront das Schiff irgendwann einholen und zerstören.

*) Ich weiß nicht, ob das so stimmt, aber es ist Science-FICTION und ich nehme das mal so als gegeben hin.

Für Pala und ihren Stamm macht sich diese Zündung als „Ruck“ bemerkbar. Durch die Zündung ändert sich für kurze Zeit die Schwerkraft und alles verschiebt sich zur Seite. Ein See tritt über die Ufer und überschwemmt die Äcker daneben. Ich musste an die jährliche Nilschwemme denken. Trotzdem ist der Ruck insgesamt ein Ärgernis. Pala und ihren Freunden gelingt es im Verlauf der Geschichte, in die frühere Steuerzentrale des Schiffs vorzudringen. Die Arche wird allein von einer KI gesteuert, und diese KI teilt den Menschen mit, dass seit 554 Jahren niemand mehr auf der Brücke war.

Und nun der Clou: Palas Gefährte fragt die KI, ob sie „den Ruck“ ausstellen könne, da er für die Menschen ein Problem sei. Er hat nicht verstanden, dass nur durch diese Triebwerkszündung das Schiff nicht zerstört wird. Die KI sagt, sie kann das tun, und sie würde es tun, da der Befehl von einem Menschen kommt.

In den letzten Absätzen des Buches geht es um dieses Abstellen oder Aufrechterhalten. Letztendlich entscheiden sie sich dafür, den „Ruck“ zu lassen, denn schließlich muss man sich dabei etwas gedacht haben.

Und ich dachte kurz: Wow. Wie krass wäre es, wenn Pala und ihre Begleiter entscheiden würden, die Zündung auszustellen und das Buch dann enden würde. Sie würden in ihre Welt im Innern des Zylinders zurückkehren und der Leser wüsste, dass das Schiff bald zerstört werden würde. Was für ein krasses Ende das wäre: Wenn die letzten Menschen ganz versehentlich und unbedarft sich selbst zerstören und damit das letzte Überbleibsel der Menschheit aus dem Universum tilgen würden. Diese Tragik! Diese Endgültigkeit!

Ich war etwas enttäuscht, dass Peterson sich dagegen entschieden hat. Theoretisch kann nun aber noch eine Fortsetzung zu Vakuum folgen.

Da du bis hierher gelesen hast, würde es mich interessieren, was du von Vakuum bzw. der Geschichte und Petersons Ideen hältst. Schreib mir doch einfach einen Kommentar :D

Ähnliche Beiträge

One Comment

  1. KARL-HEINZ

    Nun, ich war auch sehr interessiert und habe das Buch für meine Leseverhältnisse schlichtweg verschluckt. Dennoch hat mich die Grundstruktur mehr interessiert als der Thrillerteil. Ich hätte gerne mehr Astronomische Inhalte noch verarbeitet gesehn, als die simplistischen Weltpolitikverhältnisse und nur die Amis schaffen es… und wie auch noch?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert