Andy Weir, das ist der Autor, dem wir vor wenigen Jahren den Bestseller „Der Marsianer“ verdanken. Der wurde nicht nur von Ridley Scott verfilmt, sondern auch von mir in den höchsten Tönen gelobt. Mir gefiel „Der Marsianer“ so gut, dass ich dachte, man kann mit „Der Astronaut“ sicher auch nichts falsch machen. Nur wenige Tage später weiß ich: Das stimmt. Übrigens soll auch „Der Astronaut“ als „Project Hail Mary“ verfilmt werden.
Der Astronaut liest sich erstmal gar nicht so anders wie der zehn Jahre ältere „Marsianer“. Ein Astronaut ist verloren im All und muss technische Probleme weg-macgyvern.
Kurzer Blick in die Handlung
Titel: Der Astronaut
Erstveröffentlichung: Mai 2021 (Original und deutsche Ausgabe)
Deutsche Übersetzung: Jürgen Langowski
ISBN: 978-3453321342
Seiten: 554
Zu Beginn weiß Ryland Grace nicht, wer er ist. Und auch nicht, wo er sich befindet, oder wo er herkam. Neben ihm liegen zwei vertrocknete Leichen. Ryland reimt sich zusammen, dass er sich an Bord eines Raumschiffes befindet. Er kennt sich verdammt gut mit Technik und Physik aus und findet heraus, dass dieses Raumschiff nicht in unserem Sonnensystem sein kann. Wo genau ist er, und wie kam er dort hin? Und vor allem: Was soll er hier tun?
Nach und nach stellen sich Erinnerungen ein. Ryland ist einer von drei Astronauten, die sich auf der wichtigsten Mission der Menschheit befinden. Nur dass die beiden anderen während ihres Schlafkomas auf der Reise gestorben sind und Ryland nun allein den Job erledigen muss.
Noch ein kurzer Teaser zur Mission: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass unsere Sonne stetig an Leuchtkraft verliert. Wenn das so weiter geht, steht der Erde bald eine neue Eiszeit bevor, die 99 % der Menschheit auslöschen würde. Aber nicht nur die Erde leidet. Astronomen beobachten, dass alle anderen Sterne in der Nachbarschaft der Sonne ebenfalls dunkler werden. Nur einer nicht: Der Stern Tau Ceti in 12 Lichtjahren Entfernung.
Die Ursache für den Energieverlust ist relativ schnell ermittelt: Die Sonne wird von winzigen Einzellern befallen, die der Sonne Energie entziehen. Klingt wild? Ist es auch. Ryland Grace ist Biologe und gehört zu den Wissenschaftlern, die entdeckt haben, was diese Einzeller, die sie „Astrophagen“ nennen, genau tun. Das macht ihn auf einen Schlag zu einem der wichtigsten Menschen der Welt und er wird zum Projekt „Hail Mary“ hinzugezogen. Die Hail Mary ist ein Schiff, mit dem drei Wissenschaftler zu Tau Ceti fliegen sollen, um herauszufinden, warum die Sonne gefressen wird und Tau Ceti nicht.
Und genau da befindet sich Ryland nun. Allein an Bord der Hail Mary, und er soll das Rätsel um die Astrophagen lösen.
Der Astronaut – Rezension
Wir lesen die Geschichte in der Ich-Perspektive, also aus Sicht von Ryland. Er berichtet abwechselnd von der Gegenwart an Bord der Hail Mary passiert und von früheren Ereignissen. Diese Rückblenden bringen für uns Leser viel Licht in die Vorgeschichte. Sie erklären, was genau überhaupt los ist und welche Rolle Ryland bei dieser Mission zur Rettung der Menschheit spielte und spielt.
Die Abwechslung zwischen Vergangenheit und Gegenwart hält den Leser zunächst bei Laune. Es ist spannend, sozusagen mit ihm zusammen herauszufinden, wer genau er denn nun ist. Der Schreibstil ist wie bei Weir gewohnt recht technisch. Wir erfahren viel über die Astrophagen, und ich staune über Weirs schier unerschöpfliche Fantasie (darüber staune ich im Verlauf des Buches noch sehr viel!).
Und wie in „Der Marsianer“ schafft Weir es, seinen Protagonisten sympathisch darzustellen. Ryland wirkt einfach menschlich und glaubwürdig. Immer wieder brachte Weir mich auch zum Schmunzeln. Den Schreibstil in „Der Marsianer“ fand ich aber subjektiv noch ein klein wenig spaßiger.
Schön zu sehen ist z.B. auch, wie Weir ein eigenes Vokabular für sein Buch aufbaut und verwendet. So fällt Ryland auf, dass er eigentlich nicht von „Sonnenlicht“ sprechen kann, denn der Stern, an dem er sich befindet, ist ja nicht die Sonne. Und so handelt es sich natürlich um „Taulicht“, das der Stern Tau Ceti abstrahlt.
Witzig fand ich zu lesen, wie Ryland mehrmals, wirklich mehrmals im ganzen Buch erwähnt, wie schwer Amerikaner es mit den Maßeinheiten haben. Die internationale Wissenschaft nutzt das metrische System, also Zentimeter, Kilogramm sowie, wenn es um Temperatur geht, Celsius. In den USA ist aber das imperiale System üblich, also Zoll, Fuß und Meile, Pfund und Fahrenheit. Ryland verwendet beide Systeme: Wenn er wissenschaftliche Überlegungen anstellt, rechnet er im internationalen System, und bei allem anderen denkt er „amerikanisch“, also in Zoll und Fahrenheit. Die Amis, die haben Probleme.. :D
Unerwartete Wende
Irgendwann beginnt sich dann kurz Langeweile in die Geschichte einzuschleichen. Ryland ist allein, und es geht bei ihm – anders als bei „Der Marsianer“ – nicht darum, am Leben zu bleiben. Sobald wir erst einmal wissen, was los ist und wir es uns nach den ersten 100 Seiten auf der Hail Mary gemütlich gemacht haben, steht uns eigentlich ein recht trockenes Buch aus Beobachtungen, Versuchen und Theorien bevor. Was auch sonst? Ryland ist ja ganz allein an Bord.
An genau diesem „Mmmmh, geht das jetzt so weiter?“-Punkt hört die Langeweile schlagartig auf. Es passiert etwas, und der Buchrückentext warnt den Leser in keinster Weise vor. Und ich tue es natürlich auch nicht :D
Ich kann nur sagen: Ich war schlagartig wieder wach und verschlang nun Seite für Seite. Als ich merkte, dass immer weniger Seiten übrig sind, überfiel mich geradezu Trauer, dass das Buch schon zu Ende ist. So gut fand ich „Der Astronaut“!
An dieser Stelle möchte ich nicht zu viel verraten – ich kann nur sagen: Der Verlauf der Geschichte wärmt mir wirklich das Herz.
Eine Eva Stratt willst du nicht zum Feind!
Sehr gut gefiel mir die Nebenrolle von Eva Stratt. Stratt war zuvor (glaube ich) Leiterin der Europäischen Raumfahrtagentur und wird im Buch als Leiterin einer UN-Taskforce zur Untersuchung des Helligkeitsverlustes der Sonne eingesetzt. Und man, ist diese Frau resolut. Sie ist mit umfangreichen Kompetenzen ausgestattet und hat Weisungsbefugnisse auf der ganzen Welt. Einer Eva Stratt widerspricht man nicht. Wenn sie sagt, du bist jetzt Teil der Taskforce, dann gibt es kein Nein. Wenn sie sagt, sie braucht einen Flugzeugträger des chinesischen Militärs als Basis, dann bekommt sie den Flugzeugträger. Und sie trifft durchaus fragwürdige Entscheidungen.
Normalerweise wäre das DIE Paraderolle für einen Mann. Natürlich für einen älteren, amerikanischen weißen General oder so. Aber hier ist es eine Frau, die die wohl respekteinflößendste Rolle spielt, die man sich vorstellen kann. Selbstverständlich ist es völlig egal, ob diese Rolle nun ein Mann oder eine Frau übernimmt, aber ich finde es richtig klasse, dass Weir sich für eine Frau entschieden hat. Damit stellt er sich gegen das Klischee, dass Frauen immer diplomatischer, rücksichtsvoller und „weicher“ zu sein haben. Genau das habe ich in anderen Büchern schon so oft bemeckert, zuletzt in Vakuum von Phillip P. Peterson.
Ich selbst möchte gern in einer Welt leben, in der Frauen so sein dürfen und ihre Autorität ohne Frage, Klage oder dumme Sprüche akzeptiert wird. Und in der man ihnen eine solche Rolle nicht nur zutraut, sondern sie auch damit betraut. Immerhin mussten dazu mit Sicherheit einige alte, weiße Männer zustimmen. Es ist sehr schön zu sehen, dass hier offenbar die fähigste Person diese schwere Aufgabe übernimmt wird – egal, ob Männlein oder Weiblein. Hurra! :D Und ja, es freut mich auch, dass Stratt keine Amerikanerin ist, sondern Niederländerin :D
Der Astronaut – Wertung
Mann allein auf tödlicher Mission und nur Technik zur Hilfe, das scheint den Leser zunächst auch in „Der Astronaut“ zu erwarten. Weir wirft viel mit physikalischem Wissen um sich und manchmal wird das schon fast zu viel. Im Kontrast dazu stellt er seinen Protagonisten aber auch sehr menschlich dar. Weirs Schreibstil gefällt mir sehr gut und der Plot der Geschichte bleibt stets spannend. Für mich war bis kurz vor Schluss nicht absehbar, wie das Ganze enden wird.
Für mich war „Der Astronaut“ wieder absolut fesselnd und ich habe in jeder freien Minute weitergelesen, so dass das Buch leider schon nach kurzer Zeit ausgelesen war. Insgesamt gefiel mir das Buch so gut, dass ich 5 Sterne vergebe.
Auf die Verfilmung bin ich auch schon sehr gespannt :D
» So funktioniert die Buchbewertung
Weitere Gedanken zu „Der Astronaut“
!!! Achtung! Hier solltest du nur weiterlesen, wenn du das Buch selbst kennst oder dir massive Spoiler nichts ausmachen !!!
Ich warne dich! Keine Geheimisse mehr nach diesem Punkt!
Letzte Chance!
Du bist noch da? Gut, ich wollte noch ein paar Kleinigkeiten loswerden ^^
Was passiert da draußen bei Tau Ceti?
Quasi direkt nach Rylands Ankunft am Zielort bemerkt er, dass ein fremdes Raumschiff ihm entgegen kommt. Ja, ein komplett fremdes Raumschiff – Außerirdische. „Der Astronaut“ ist also kein Buch wie „Der Marsianer“, in dem der Erzähler ganz allein mit sich ist. Nein, es wird zu einem Erstkontakt-Buch und zu einer Geschichte über eine faszinierende, herzerwärmende Freundschaft.
Mit großem Interesse und großer Neugierde las ich, wie die Außerirdischen den Kontakt zu Ryland suchen. Die Außerirdischen entpuppen sich schließlich zu nur einem Außerirdischen, den Ryland „Rocky“ nennt. Rockys Gefährten sind ebenfalls auf der Reise umgekommen, und er ist genauso allein wie Ryland. Wir sind dabei, als die beiden sich über Gesten und wissenschaftliche Fakten verständigen und schließlich ein gemeinsames Vokabular aufbauen. Ich musste hier öfter an „The Arrival“ denken, den Kinofilm, in dem es ebenfalls um die Verständigung mit Außerirdischen geht.
Richtig spannend finde ich auch, wie Weir sich Rocky vorstellt: Im Prinzip als lebenden Metall-Schmelzofen. Rocky hat eine Körpertemperatur von über 200° und er besteht zu großen Teilen aus Metall. (Weir schreibt immer „er“, aber eigentlich hat Rocky kein Geschlecht). Rocky benötigt eine Ammoniak-Atmosphäre und einen deutlich höheren atmosphärischen Druck. Ryland und Rocky können sich daher nicht direkt aneinander annähern, denn die Umgebung des einen ist tödlich für den jeweils anderen. Auch dafür erfindet Weir natürlich Lösungen.
Ich bin zunächst ein wenig angefressen davon, dass es doch ein Riesenzufall ist, mitten an einem ansonsten leeren Stern einem fremden Schiff zu begegnen. Doch dafür gibt es eine Erklärung. Rocky, der eine viel höhere Lebenserwartung hat als Ryland, ist schon seit über 40 Jahren im System und sucht nach Hinweisen zu den Astrophagen. Er hat das sich nähernde Schiff durch dessen Infrarot-Strahlenausstoß bemerkt und fliegt ihm daher entgegen.
Rocky und Ryland unterhalten sich auch selbst darüber, wie es sein kann, dass sie sich begegnen. Aber da sich die Astrophagen in einem astronomisch sehr kurzen Zeitraum auf die Sterne verteilen, engt das den Zufall schon mal auf ein paar Jahre ein. Beide Spezies haben den Befall an ihrem Stern bemerkt. Beide haben ein Schiff ausgesandt, um am einzigen nicht sterbenden Stern nach einer Lösung zu suchen.
Und die Begegnung gelingt nur, weil sich beide Spezies auf einem ähnlichen Entwicklungsstand befinden. Wären die Menschen noch im Mittelalter, hätten sie kein Schiff bauen können und die Erde wäre untergegangen. Wären wir viel fortgeschrittener, hätten wir das Problem mit dem Sternbefall vermutlich anders lösen können. Und so kommt es, dass die beiden Zivilisationen hier bei Tau Ceti nun zusammentreffen.
Rocky ist super
Ob man sich aber so offen und vertrauensvoll einer anderen Lebensform annähern kann, weiß ich nicht. Nicht einmal hatte Ryland Angst, dass das fremde Schiff vielleicht feindselige Absichten hat. Sowohl er als auch Rocky scheinen von Anfang an darauf zu vertrauen, dass der jeweils andere nichts Böses im Sinn hat.
Es ist so schön zu lesen, dass zwei so physiologisch unterschiedliche Lebewesen doch genügend Gemeinsamkeiten finden, um eine tiefe Freundschaft zu entwickeln. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass beide Spezies vom Aussterben durch die Astrophagen bedroht sind und nun Lösungen finden müssen. Zusammen geht das besser als allein. Sie sitzen schließlich trotz aller Unterschiede im gleichen Boot.
Im Verlauf der Geschichte wuchs mir Rocky so ans Herz, dass ich bei der Vorstellung traurig wurde, dass es irgendwann zu einem Abschied kommen muss. Die ganze Zeit befürchtete ich, dass der einsame Ryland sich Rocky eigentlich nur einbildet und er irgendwann aufwacht und merkt, dass er doch allein ist. Eine solche Verbundenheit zu einem fiktiven Charakter fehlt mir häufig in anderen Büchern.
Wieder eine richtig tolle und lesemotivierende Rezension von dir, vielen Dank :-) (auch für die Spoilerwarnung)
Den „Marsianer“ habe ich auch sehr gerne und in einem Rutsch gelesen, einfach faszinierend, wie spannend und detailreich Andy Weir das ganze technische Fachwissen in die Geschichte bringt.
Und die Frauenfigur klingt auch super.
Werde es auf jeden Fall auf meinen virtuellen Buchstapel packen.