Im Wissenschafts-Thriller „Der Schwarm“ entführt uns Frank Schätzing in die Tiefen der Meere, die der Mensch kaum kennt. Nachdem sich an den Küsten merkwürdige Ereignisse häufen, stellt sich heraus, tief im lichtlosen Wasser Dinge vorgehen, die sich der Mensch nicht einmal vorstellen kann. In diesem Buch kommen irre Zutaten aus Katastrophen-, Horror- und Science-Fiction-Geschichten zusammen, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Wissen über die Ozeane!
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Texx – du hast mir das Buch vor fast 1,5 Jahren ausgeliehen und erst jetzt habe ich es gelesen. Niemand hat größere Geduld als du! :-)
Seitenzahl: 987
Erstausgabe: 2004
Info: Soll wohl 2020 verfilmt werden
Der Schwarm – Handlung
Vor der norwegischen Küste tauchen hunderte Meter unter dem Meeresspiegel am Boden des Ozeans unbekannte Würmer auf, die den Kontinentalhang destabilisieren. Gleichzeitig verhalten sich die eigentlich sehr friedlichen Wale westlich von Kanada ganz und gar nicht mehr friedlich: Im Gegenteil, sie lassen Schiffe kentern und fressen Touristen im Wasser. Der Meeresbiologe Sigur Johanson in Norwegen und der Walexperte Leon Anawak in Kanada beginnen versuchen, diesen Rätseln auf die Spur zu kommen.
Es bleibt aber nicht bei irgendwelchen Würmern und aggressiven Walen – innerhalb kürzester Zeit ereignen sich weitere rätselhafte Vorgänge, die mit dem Meer zu tun haben: Ungenießbare Hummer führen zu einer tödlichen Epidemie in Europa, Millionen von extrem giftigen Quallen vertreiben Menschen von den Stränden auf der ganzen Welt und Schiffe können wegen eines merkwürdigen Muschelbewuchses nicht mehr steuern.
Bis die Wissenschaftler darauf kommen, dass diese Ereignisse zusammenhängen, versinkt Europa schon bald im Chaos – und der Rest der Welt droht zu folgen. Bald steht fest: Die ganze Menschheit hat Grund zur Sorge.
Der Schwarm – Rezension
Dieser Tausendseiter hat bei mir nicht lange gehalten. Obwohl „Der Schwarm“ gelegentlich einige Längen aufweist, kommt eigentlich niemals wirklich Langeweile auf. Schätzing hütet sich davor, schnell eine Erklärung für die Vorgänge zu liefern und hält den Leser stattdessen mit dramatischen Ereignissen bei Laune, die es unmöglich machen, das Buch dabei aus der Hand zu legen.
So treibt uns nicht die pure Spannung an, sondern auch die Neugierde, was denn nun eigentlich hinter den Vorgängen steckt.
Der Ozean – Unendliche Weiten!
Im Mittelpunkt des Buches stehen die Meere, insbesondere die lichtlosen Tiefen weit unterhalb der Meeresoberfläche, die nicht nur für den normalen Menschen ein unbeschriebenes Blatt sind. In dieser ewigen Finsternis kann sich der Mensch sowieso nur mit technischen Hilfsmitteln umsehen – nur Tauchboote, die dem großen Wasserdruck widerstehen können, sind dafür geeignet.
Die Tiefen der Ozeane sind in der Tat kein hellblau-türkis leuchtendes Aquarium mit bunten Fischen, sondern tatsächlich stockdustere, für Landtiere wie uns ein äußerst lebensfeindlicher Ort – der aber weit über die Hälfte unseres Planeten einnimmt. Selbst mit Licht kann man nur wenige Meter weit sehen, und auch heute noch tauchen immer wieder unbekannte Tiere aus diesen Regionen auf, die noch nie ein Mensch gesehen hat.
Kein Wunder also, dass die Meere die Fantasie anregen! Und kein Wunder, dass Schätzing eine SETI-Forscherin (Search for Extraterrestial Intelligence, also eine, die nach außerirdischem Leben sucht) mit an Bord der Geschichte holt.
Schätzing hat sich ziemlich schlau gemacht über das, was in den Abyssalen so passiert – sofern wir es überhaupt wissen. Er hält sich eng an die Fakten – „Der Schwarm“ ist also bei weitem keine Fantasy-Geschichte á la Jules Vernes „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ oder Lovecrafts Unterwasserstädte.
Stattdessen lernen wir viel über Methaneis am Grunde der Meere und Ölbohrinseln, über verschiedene Walarten, über Monsterwellen und Schiffsunglücke, Kontinentalhangrutsche und Tsunamis – alles nachprüfbares Wissen! „Der Schwarm“ weckt während des Lesens die Neugierde auf all diese Phänomene und ich habe immer wieder nebenbei eine Pause gemacht, um mich nebenbei ein wenig schlau zu machen. Notwendig ist die zusätzliche Recherche aber nicht – Schätzing liefert alles mit, was der Leser wissen muss.
Die Figuren der Geschichte
Seine entspannte Ausdrucksweise liest sich wie direkt aus dem Leben gegriffen und die Figuren haben alle ihre ganz eigenen Macken: Johanson, der Feinschmecker und Weingourmet, drückt sich beispielsweise völlig anders aus als der etwas schmierige CIA-Chef mit seinen flapsigen Sprüchen. Meeresforscher Anawak hadert immer wieder mit seiner Abstammung, die SETI-Forscherin kommt nicht ohne Zigaretten aus, eine hohe Offizierin sprintet ständig auf ihrem Laufband herum.
Auf der anderen Seite bleiben viele Figuren auf Distanz und wirken auswechselbar. Rubin, Frost, Roscowitz, Buchanon, Bohrmann – sie alle werden eher kurz in ihrer Funktion vorgestellt, aber bleiben dann nicht im Gedächtnis. Danach tauchen sie immer mal wieder auf und man merkt, dass sie schon wichtig sind, aber dann hab ich schon vergessen, wer das war.
Schätzing setzt bei der Erzählung außerdem konsequent ausschließlich die Nachnamen der Figuren ein: Johanson tut dies, Delaware tut jenes. In den Dialogen verwendet er aber auch, wenn es passt, die Vornamen der Figuren, was natürlicher wirkt. Freunde sprechen sich eben nicht mit Nachnamen an ^^ Gerade bei eher nebensächlichen Figuren, wo schon der Nachname kaum zuzuordnen ist, kann das manchmal schwierig werden. Wer war jetzt nochmal Jack?
Warum in die Ferne schweifen…
… wenn das Fremde liegt so nah!
Schätzing macht mit „Der Schwarm“ klar, dass wir unseren Planeten gar nicht so gut kennen wie wir dachten. Immer wieder träumt der Mensch davon, intelligentes Leben im All zu finden – dabei könnte es doch direkt vor unserer Nase herumdümpeln. Diesen Aspekt finde ich sehr faszinierend.
Die intelligenten Bewohner der Meere können von den Tiefen der Meere aus selbst das Leben auf dem Land beeinflussen und es sogar ernsthaft in Bedrängnis bringen. Und dabei leben sie bereits seit 180 Millionen Jahre und können sich an jede einzelne Minute und jedes Ereignis erinnern.
Und die Lebensform, die die Wissenschaftler schließlich finden, macht deutlich, dass sie – so einfach und so fremd sie ist – dem Menschen weit überlegen ist.
Der Mensch – Krone der Schöpfung?
Dass manche Menschen, insbesondere religiöse Menschen, das nicht wahrhaben wollen, ist dann schon verständlich. Deswegen thematisiert Schätzing im späteren Verlauf des Buches auch die Frage, woher denn der Mensch seinen Anspruch als Herrscher des Planeten nimmt. Seit der Bibel glauben wir fest daran, dass wir das letzte und tollste sind, das Gott geschaffen hat. Wir sind ein Abbild Gottes und sollen uns die Erde untertan machen.
Auserwählt oder nur eine Variation?
Nun müssen sich die Figuren in „Der Schwarm“ der Frage stellen, wer sich davon überhaupt angesprochen fühlen soll. Wir, die Menschen, die erst seit wenigen 1000 Jahren beginnen, uns den Planeten untertan zu machen? Oder andere Wesen, die das bereits viel länger und auch effizienter tun? Wer sagt denn eigentlich, dass wir im Recht sind, wenn wir die Natur schädigen und ständig ganze Tierrassen ausrotten?
Um uns überspitzt mit diesen Fragen zu konfrontieren, setzt Schätzing auch auf klischeehafte amerikanische Fundamentalisten: Wir sind von Gott auserwählt, und ganz besonders ausgewählt sind die USA! Es ist völlig undenkbar, dass es neben dem Menschen/Amerikaner andere Herrscher über den Planeten geben kann! Demgegenüber stehen rationale Wissenschaftler, die versuchen zu verdeutlichen, dass wir, die Rasse Homo sapiens sapiens, auch nur eine Variation einer Primatenart sind und ganz sicher nicht von Geburt an auserwählt. Bei diesen Passagen habe ich immer wieder an das Buch Homo Deus von Harari gedacht, der sich (unter anderem) mit ähnlichen Gedanken beschäftigt.
Rache der Natur an den Verbrechen des Menschen?
Allgemein sickert immer wieder – ohne damit auf die Nerven zu gehen – ein gewisser Umweltaspekt durch. Wir plündern die Ölvorräte, wir kippen Abfall ins Meer, wir fischen alle Fischgründe leer und wir begaffen Wale. „Der Schwarm“ ist ein wenig wie eine Rache der Natur am Menschen aufgebaut – ohne damit einen Vorwurf zu verbinden.
Gleich zu Anfang des Buches lernen wir einen Umweltaktivisten kennen, der die Whale Watching-Touren stört und genau eine solche Rache der Natur immer prophezeit. „Der Schwarm“ ist aber ein Wissenschaftsroman und damit absolut keine Moralkeulen-schwingende Hippy-Bibel. Die Figuren im Buch sind größtenteils Wissenschaftler und sie lehnen die Rache-der-Natur-These ab. Stattdessen suchen sie lieber nach rationalen Erklärungen. Dennoch – obwohl das Buch es abstreitet, ist es offenkundig, dass Schätzing auch die raumgreifenden und verdrängenden Eigenschaften des Menschen in den Vordergrund stellt.
Brillianter Schreibstil, aber emotionale Distanz
Schätzing gehört mit seinem lockeren Schreibstil eindeutig zu meinen Lieblingsautoren. Er ist ein Meister der Figureninteraktion, ein Gott der Dialoge und eine Koryphäre in der Beschreibung von Situationen. Im Gegensatz zu Autorenkollegen, die sehr sperrig schreiben, fühlt man sich in Schätzings Büchern gleich immer sehr wohl – es passt einfach.
Dieses Buch ist richtig geil – spannend, interessant, toll geschrieben, vielseitig, es regt zum Nachdenken und Informieren und es bildet auch weiter.. Aber für die vollen fünf Wertungssterne fehlt die „persönliche Ergriffenheit“ als Tüpfelchen auf dem i. Die Geschichte bleibt emotional ein wenig auf Distanz. Es gibt nicht die eine Figur, mit der ich mich identifizieren kann, und auch nicht diese Situation, die mich selbst richtig mitreißt.
Klar, es gibt genügend interessante Charaktere und auch genügend Situationen, in der ich denke – „scheeiiiße, ist das gerade wirklich passiert? Oho, der traut sich aber wirklich was, der Schätzing“. Aber eben nicht dieses „NEIIIIIN, der darf nicht sterben! OMG! Das darf nicht passieren!“. Obwohl Schätzing etwa eine riesige Flutwelle aus verschiedenen Perspektiven beschrieben hat und dabei nun wirklich kaum jemand trocken bleibt, überträgt sich die Dramatik der Situation nicht auf meine Emotionsfühler ^^
Der Schwarm – Wertung
„Der Schwarm“ ist unbedingt empfehlenswert für jeden, der Katastrophen-Geschichten mag, sich für den Kontakt zu unbekannten Lebewesen und auch noch für die Meere interessiert. Und natürlich solltest du Durchhaltevermögen für ein 1000-Seiten-Buch mitbringen – aber Schätzing füllt diese Seiten sehr gut und bringt uns dabei auch immer wieder zum Schmunzeln. Auch seitenlangen Langeweile-Plots wie etwa in seinem späteren Buch Limit halten sich stark in Grenzen :D
» So funktioniert die Buchbewertung
Der Schwarm – Zitate
CIA-Chef Vanderbilt fasst die Lage zusammen.
„Weiter im Text,“ sagte Vanderbilt vergnügt. „Europa erfreut sich lustiger kleiner Algen im Trinkwasser. Was tun? Chemische Keule? Natürlich kann man Wasser kochen oder in Chemikalien ertränken. Dabei gehen die kleinen Scheißer vielleicht drauf, aber wir folgen ihnen nach. Schon wird das Wasser knapp. In Europa hat bislang jeder Idiot drei Stunden lang unter der Dusche gestanden und Seemannslieder gesungen, das ist passé. Ich weiß nicht, wann bei uns die ersten Hummer explodieren werden, Herrschaften, aber Gottes eigenes Land sollte sich darauf einstellen, dass es passieren wird. Gott hat die Geduld verloren.“ Vanderbilt kicherte. „Oder sollen wir besser sagen, Allah? The shape of things to come, Herrschaften! Freuen Sie sich auf sensationelle Enthüllungen. Gleich nach der Werbung!“
Was redet der da, dachte Peak. War Vanderbilt verrückt geworden? Es konnte nicht anders sein. Nur ein Verrückter benahm sich so.
Zwei Typen suchen auf den Live-Bildern eines Satelliten nach einem Schiff.
Der Mann, der den Satelliten steuerte, definierte den Bereich, in dem das Schiff angeblich angegriffen worden war, gab die Koordinaten ein und zoomte in die nächste Vergrößerungsstufe. Die Küste verschwand aus dem Blickfeld. Nur noch Wasser war zu sehen. Kein Schiff.
Der andere Mann sah zu und aß frittierten Fisch aus einer Papiertüte.
„Mach hin“, sagte er.
„Nur die Ruhe.“
„Nix mit Ruhe. Sie wollen die Auskunft sofort.“
„Scheiß drauf, was sie wollen.“ Der Steuermann schwenkte den Spiegel vor dem Teleskop um eine weitere Winzigkeit. „Das kann endlos dauern, Mike. Das ist Scheiße. Immer muss alles schnell gehen! Wie soll das funktionieren? Wir müssen das ganze verdammte Scheißmeer absuchen nach einen winzigen Scheißkutter.“
„Müssen wir nicht. War ein Satellitennotruf der NOAA. Es kann nur hier sein. Wenn nicht, ist der Kahn versoffen.“
„Noch größere Scheiße.“
„Ja.“ Der andere leckte seine Finger ab. „Arme Schweine.“
„Scheiß auf die armen Schweine. Die armen Schweine sind wir. Wenn der Kahn abgesoffen ist, geht die Scheißsuche nach den Trümmern los.“
„Cody, du bist wirklich eine faule Sau.“
„Wohl wahr.“
„Nimm ’n Stück Fisch. – Hey, was ist das?“
Hier fasst jemand zusammen, wie es zu mehreren Schiffskollisionen kam.
„In einem der Fälle haben offenbar marine Organismen die Logge verstopft“, sagte Vanderbilt. „Sie zeigte keine Fahrt mehr an, was den Radar veranlasste, keine Kollisionsgefahr zu melden, obwohl drum herum alles dicht befahren war. Im anderen Fall spielte das Echolot verrückt und meldete abnehmende Wassertiefe. Sie mussten davon ausgehen aufzulaufen, obwohl sie tatsächlich in tiefem Gewässer fuhren, und vollführten eine vollkommen idiotische Kurskorrektur. Beide knallten in andere Schiffe, und weil es so schön dunkel war, fuhren gleich noch ein paar weitere rein ins Vergnügen. Anderswo auf der Welt kommt es zu ähnlichen Scherzen. Jemand will beobachtet haben, dass Wale dicht unter den Schiffen geschwommen sind, über einen langen Zeitraum.“