Alan Moore / David Lloyd – V wie Vendetta

Dieses Buch erhielt von einem Gastautor 4 Sterne

Was wäre, wenn es einen atomaren Weltkrieg gäbe und sich aus den Ruinen ein faschistisches Regime bildete? Wie würde das aussehen, wer würde das System bekämpfen? Und viel wichtiger: Heiligt der Zweck die Mittel? Das ist die zentrale Frage, die die Graphic Novelle “V wie Vendetta” von Altmeister Alan Moore (Watchmen, Batman: The Killing Joke, From Hell, Liga der außergewöhnlichen Gentlemen) und David Llyod (Sláine, John Constantine, Hellblazer) stellt.

Pierre von green-shemagh.net kann es einfach nicht lassen. Schon wieder hat er eine Rezension geschrieben (» zu seinen weiteren Beiträgen). Diesmal zu einem Comic.. Verzeihung, zu einer Graphic Novelle. Die Maske auf dem Cover des Buchs kennt inzwischen wohl jeder. Hier seht ihr, woher diese Maske kommt! So, und ab jetzt –> Pierre.

Alan Moore / David Lloyd | V wie Vendetta CoverSeitenzahl: 286
Erstausgabe: 1988-1989
Info: Wurde 2005 verfilmt

“Was?! Eine Rezension zu einem Comic?!”

…. wird sich wohl der eine oder andere Besucher denken und ja, es ist das erste Mal, dass diese Form von Geschichte hier präsentiert wird. Da ich selbst leidenschaftlicher Leser dieser Novellen (und auch Comics, ja^^) bin, muss ich da wohl kurz in die Bresche springen und etwas klarstellen :D

Eine Graphic Novelle ist eigentlich ein Roman oder eine Geschichte im Comic-Stil. Während bei Büchern der Autor mit seinen Worten Bilder vor unserem inneren Auge zum Leben erweckt, leistet bei dieser Darstellungsform bereits der Zeichner diese Vorarbeit. Allerdings heben sich Graphic Novellen einerseits durch ihren Komplexitätsgrad und andererseits durch ihre Brutalität deutlich von üblichen Comics ab und richten sich daher in erster Linie an Erwachsene. Außerdem  sind die Geschichten, anders als beispielsweise die Marvel- und DC- “Evergreens” (Batman oder Spiderman), in sich abgeschlossen und laufen nicht in zig verschiedenen Varianten oder Parallelwelten weiter.

“V wie Vendetta”: Handlung

Die Geschichte spielt nach einem atomaren Weltkrieg in Großbritannien Ende der 90er Jahre. In Großbritannien schafft die “Nordfeuer”- Partei die Demokratie ab und ersetzt sie durch ein totalitäres Regime, dass die Bevölkerung unterdrückt. Minderheiten wie Schwarze, Asiaten, aber auch Schwule, Lesben und Sozialisten sowie Andersdenkende bzw. Systemkritiker werden verfolgt und in Arbeitslager geschickt.

Die restliche Bevölkerung wird unter der Verwendung von Mikrofonen und Kameras überwacht und durch ein ausgebautes Propagandanetzwerk der Medien beeinflusst. Die staatlichen Organe dazu tragen passende Bezeichnungen:

  • “Mund”(Propaganda),
  • “Nase” (Ermittlung),
  • “Auge” (Überwachungsdienst),
  • “Ohr” (Abhördienst) und
  • “Finger” (Geheimpolizei).

Im Zentrum des Ganzen steht der sogenannte “Führer”, der eine Verbindung zur “Vorsehung” hat, einem Supercomputer, der zur Vorausplanung und Kontrolle eingesetzt wird.

Wie man sich vorstellen kann, ist neben der Propaganda auch der Alltag recht gleichförmig gehalten: Fernsehshows und Unterhaltungsmedien werden vom Regime zensiert und zeigen stets nur ideologisch einwandfreies Material.

Dem gegenüber steht ein maskierter Mann, der sich selbst “V” nennt. Er rettet die 16-jährige Evey, die aus Not zur Prostitution getrieben wurde und nimmt sie in seinem Versteck, der “Schattengalerie”, auf. Von da an beginnt ein systematischer Kampf gegen das System.

“V wie Vendetta”: Rezension

Moore beschreibt die Geschichte aus den Augen von Evey, “V” und dem Detektiv Eric Finch, einem Handlanger des Systems. Die Geschichte ist geprägt von vielen Rückblicken, unter anderem von Evey, um so dem Leser grob zu erklären, wie es zur Diktatur kam. Über “V” erfährt der Leser lediglich, dass er Häftling in einem Konzentrationslager war, und von Finch, dass er opportunistisch handelte, um sich und den Seinen das Überleben zu ermöglichen. Alles in allem fügen sich diese Rückblicke nahtlos ineinander und verweben sich mit den Geschehnissen der Gegenwart. So spinnt Moore eine spannende Story.

Moore fokussiert sich nicht nur auf die Geschichte, sondern flößt der Umwelt durch Details Leben ein. Beispielsweise läuft in einem Fernseher zufällig die Sendung “Storm Saxon”, die an alte Abenteuer- oder Krimiserien erinnert, aber deutlich rassistischer und nationalistischer gefärbt ist. (“Die Schwarzen Schlächter haben zu lange nach Belieben geschaltet und gewaltet! Sie vergewaltigen unsere Frauen, verbrennen unsere Häuser, unseren Besitz, aber damit ist SCHLUSS, Heidi! Denn von heute an schlägt Storm Saxon zurück!”).

Die Macht der Bilder oder die Bilder der Macht?

Die Bildgewalt – denn anders kann man es nicht nennen, was David Lloyd hier schuf – trifft mit ihren dunklen und kalten Farben den richtigen Ton. Die meiste Zeit herrschen die dunklen Farben in den einzelnen Strips (Szenen) vor. Gelegentliche Warmtöne erscheinen nur bei Lichtern, die entweder durch elektrische Beleuchtung oder Explosionen erzeugt werden.

Die zeichnerische Darstellung von “V wie Vendetta”, und darin liegt meiner Meinung nach die Kunst, ist ein Spagat zwischen den psychedelisch anmutenden Farbfolgen der einzelnen Strips, sowie der bewusst altmodisch gehaltenen Gestaltung der Umgebung. Die Uniformen der Partei, Kleidung, Architektur und Fahrzeuge wirken dem stark entgegen und erinnern den Leser an die 30er bis 50er Jahre.

Eine Eigenart ist, dass Llyod sämtliche Geräusche (“KABOOM”, “BÄM”) nicht illustriert und auch Kommentare des Off-Erzählers sowie Gedankenblasen fehlen. Dadurch wirken die Strips nicht nur sehr spartanisch und runden das düstere Gesamtbild gut ab, sondern enthalten zudem eine gewisse Ernsthaftigkeit.

“Remember, remember the fifth of November!”

Die Graphic Novelle ist an sich durchaus solide. Der Widerstand gegen einen Terrorstaat schreckt selbst nicht vor Terror zurück, um das System zu zerstören. “V” ist hierbei kein Held, was er auch selbst zugibt. Er ist Anarchist und kämpft daher ganz getreu dem Motto “Exitus acta probat” (“Der Zweck heiligt die Mittel”) – und dies auch mit allen Konsequenzen.

Dadurch treten bei ihm selbst psychopathische Züge auf. Das ist auch gewollt, da sich der Leser zu keinem Zeitpunkt “V” als Helden aussuchen soll. Er ist ein Mörder und Brandstifter und kalkuliert Kollateralschäden bewusst mit ein. Denn nur dadurch zwingt er das Regime, härter durchgreifen, wodurch wiederum der Unmut der Bevölkerung wächst und sich im besten Fall in einem Aufstand gegen den Staat entlädt.

Dass Lloyd und Moore schließlich die Guy Fawkes-Maske als “V”’s Erkennungsbild  wählten, ist ebenfalls kein Zufall. Fawkes ist schließlich der bekannteste britischen Terroristen überhaupt; sein 1604 vereitelter Anschlag auf König und Parlament wird heutzutage jährlich am 5. November gefeiert. Dass allerdings durch die Graphic Novelle, und schließlich später auch die Verfilmung, die Maske zum späteren Symbol für die moderne Anarchie wurde, hatte man wohl nicht beabsichtigt.

V wie Vendetta – Wertung

Bewertung: 4 von 5 Sternen
Für mich ist das Werk ein klarer Fall von moderner klassischer Literatur, die man gelesen haben sollte. “V wie Vendetta” reiht sich nahtlos in vergleichbare Klassiker wie “1984” von Orwell und “Minority Report” bzw. “The man in the high castle” von Phillip K. Dick ein. Alle Werke sind dystopisch, beinahe schon pessimistisch gezeichnet und zeigen die Abgründe, die der menschliche Wahn einnehmen kann.

Der Kampf gegen so ein Unrechtsregime wird bei “V wie Vendetta” allerdings nur zum Träger der versteckten und viel wichtigeren Frage: Kann man Gewalt im Namen einer gerechten Sache dulden?

  • Wenn man sich auf die gleiche Ebene des Feindes begibt, ist man dann besser als der Feind?
  • Oder ist das ein notwendiges Übel?
  • Darf der Widerstand, egal ob ein Einzelner oder eine ganze Gruppe, bewusst den Tod Unschuldiger in Kauf nehmen?
  • Darf er  Angst und Schrecken verbreiten, um sein Ziel zu erreichen?

Gewiss gibt die Graphic Novelle hierauf keine Antwort, aber sie regt zum Denken und einer Diskussion im Freundeskreis an. Allerdings finde ich, dass Moores Sympathie zur Anarchie öfters durchschimmert und diese durch “V”’s Aussagen glorifiziert, was ich nicht so teilen kann. Zwar ist es unnötig zu sagen, dass Diktaturen, besonders faschistische, gar keine Option bieten, aber die Anarchie als reinigende Kraft zu bezeichnen, ist schlichtweg träumerisch. Abgesehen von diesem Punkt ist “V wie Vendetta” allerdings durchaus eine lesenswerte Geschichte und ich vergebe 4 Sterne.

V wie Vendetta – Zitate

Bei einer gezeichneten Geschichte kommt es natürlich auf die Bilder an. Hier zwei Beispiele!

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