„Sommer, wie er sein soll“ in Abu Dhabi?

Da sitze ich wie fast jeden Abend nach meinem Stream auf der Couch und scrolle bekümmert durch die Nachrichten und Twitter. Ich schaue, was es Neues gibt in den Krisenherden unserer Welt, die da wären

  • austrocknende südeuropäische Länder aufgrund der Klimakatastrophe mit Dürre- und Wasser-Notstand
  • bei uns kommende Hitzeperiode mit sterbenden Fischen und ebenfalls seit Jahren bestehende Dürre
  • der Krieg in der Ukraine (ich verstehs immer noch nicht: Wie kann man nach all den Lehren der Vergangenheit heute noch einen Krieg vom Zaun brechen?) – auf Twitter sehen wir die ganze Pracht. Explodierende Panzer, Leichen, sterbende Soldaten
  • steigende Kosten und Inflation nach den Pandemie-Jahren und durch den russischen Krieg, möglicherweise Gas-Notstand im kommenden Winter in Deutschland (nicht falsch verstehen, ich freue mich über jeden Euro, der nicht nach Russland geht – es ist daher mehr als bedauerlich, dass Deutschland so abhängig von Russland ist, ich hasse das aus tiefstem Herzen)
  • Aussichten auf Hungersnöte in Afrika durch den russischen Krieg
  • das allmähliche Abrutschen der USA mit ihren unversöhnlichen Fronten zwischen Republikanern und Demokraten, die schließlich im Supreme Court gipfeln. Der von Trump konservativ bestückte Supreme Court hat dadurch kürzlich den Schutz des Rechts auf Abtreibung (Roe v. Wade) gekippt und könnte ermöglichen, dass bei der nächsten Präsidentenwahl 2024 Wählerstimmen legal übergangen werden können und der republikanische Kandidat Präsident wird („Alptraum-Szenario“)
  • dazu noch der Kummer über das Herumgezerre, was bei all den „alternativen Fakten“ mit meinungsmachenden Twitter-Bots und verzerrten Botschaften die Wahrheit ist

Mein allgemeiner Eindruck zu all dem ist: Wir sind doomed. Alles geht den Bach runter.

Doch dann: Eine Anzeige erscheint im Twitter-Feed! Erlebe den Sommer in einem Spaßbad in Abu Dhabi!

Anzeige für Urlaub in Abu Dhabi
Werbung für Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf Twitter

Aus meinen Doom-Gedanken heraus habe ich das Gefühl, meinen Augen nicht trauen zu können. Ich soll nach Arabien fliegen (ohje, fliegen, Klima), um dort den Sommer zu genießen (wir haben doch auch in Europa 40°?!), mit dem Vorschlag, ein Spaßbad zu besuchen (GLAUBT IHR, WIR HABEN BEI UNS KEINE SPASSBÄDER?! Und na Hauptsache Wasserparks in der Wüste, während in großen Teilen der Welt alles vertrocknet).

Also ich weiß ja auch nicht. Urlaubswerbung ok, ich kann den Reiz an Ländern der arabischen Welt nachvollziehen – auch wenn der für mich nicht in Spaßbädern liegt. Und ich bin auch nicht unschuldig, was Urlaub angeht (auch wenn ich tatsächlich mittlerweile Vorbehalte gegen Flüge habe).

Aber dann locken sie damit, nach Arabien zu fliegen, um dort was zu machen, was wir auch in zig Bädern hier bei uns machen können? Und schreiben noch dazu, dass das Sommer ist, „wie er sein soll“? Sonne genießen – dazu brauchen wir kein Arabien, die haben wir zur Genüge auch hier. Oder wenn vielleicht gerade nicht, dann brauchen wir nur nach Frankreich, Spanien oder Italien fahren, das geht auch mit dem Zug oder Auto. Und da gibt’s Sonne so satt, dass es bald keine Flüsse mehr gibt.

Und die wollen uns sagen, dass wir keine richtige Sonne und richtigen Sommer haben? Dass wir dazu nach Arabien sollen? Ja hackts denn?

Ich weiß, was ich hier schreibe grenzt an Spaßverderberei und „Verbotsrhetorik“. Ist so aber nicht gemeint. Ablenkung vom Alltag und Tapetenwechsel ist so wohltuend. Es ist nur diese sorglose und blauäugige Werbung, durch die ich mich frage: Hat das Abu Dhabi-Social Media-Marketingteam den Knall nicht gehört?

Ich frage mich, ob die Werbung von einer Agentur in Deutschland stammt, die im Auftrag arbeitet – aber es klingt eher, als hätte sich das jemand ausgedacht, der tatsächlich in Arabien stammt. Der in einem Abu Dhabi-er Hochhaus sitzt, klimatisiert natürlich, mit Blick auf das Meer, und sich verträumt vorstellt, dass die Menschen im völlig verregneten Deutschland nur ein einziges Bedürfnis haben: Sonne und Spaßbad.

Verstört scrolle ich weiter und stoße kurz darauf auf eine weitere Abu Dhabi-Werbung.

Anzeige für Urlaub in Abu Dhabi
Werbung für Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten auf Twitter

Kein Spaßbad diesmal, dafür Luxus mit nicht endenden Pool-Partys (da haben wir wieder das Wasser), Shopping-Ausflügen (wir haben Inflation, die Energie- und Lebensmittelkosten steigen und steigen, aber ja, lass mal shoppen) und einem Sternenhimmel, der in der Großstadt Abu Dhabi sicher nicht ganz so beeindruckend ist.

Ist natürlich auch Geschmacksache. Meiner bescheidenen Meinung nach sollten sie vielleicht eher mit 1001 Nacht oder sowas werben, der Exotik und den Gewürzen des Ostens. Sowas haben wir hier wirklich nicht. Aber ein Spaßbad in der Wüste, Shopping-Touren und Pool-Partys, DAS sind die Gründe, um nach Arabien zu fliegen? Na ok.

Aber gut, mit 1001 Nacht ist es in Abu Dhabi vielleicht auch nicht so rosig, schließlich wurde die Stadt erst im 18. Jahrhundert gegründet und siechte bis nach Mitte des 20. Jahrhunderts als armselige Hüttenansammlung vor sich hin. Also nun wirklich kein reiches kulturelles Erbe, mit dem man locken könnte. Da bleibt wohl nur die Werbung mit Luxus, Shopping und .. Spaßbad.

Die Schönen und Reichen, für die die Werbung gedacht ist – du meine Güte, was müssen die oberflächlich und ignorant sein. Oder zumindest denkt Abu Dhabi, dass sie das sind.

Ich möchte niemandem einen Vorwurf machen, wenn er bei all dem Mist auf der Welt Ablenkung in einem schönen Urlaub sucht. Ich find nur diese Anzeigen schrecklich unrealistisch und aus der Zeit gefallen.

Lucyda over and out.

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