Diener des Volkes – Selensky in seiner Rolle als ukrainischer Präsident

Dass Präsident Volodymyr Selensky Schauspieler war, bevor er Präsident der Ukraine wurde, ist dir sicher bekannt. Vielleicht weißt du auch, dass er in seiner Serie „Diener des Volkes“ einen Lehrer spielt, der unerwartet ukrainischer Präsident wird. Das fand ich so interessant, dass ich mir die Serie angeschaut habe. Sie ist auf Netflix und Arte verfügbar.

Diener des Volkes
Originaltitel: Слуга народу
Anzahl Folgen: 51 á 25-45 Minuten
Anzahl Staffeln: 3
Erscheinungsjahr: 2015-2019

Müsste ich „Diener des Volkes“ in einem Satz beschreiben, wäre es dieser: Hier trifft sehr trockener Humor auf den Kampf eines ehrlichen Mannes gegen überspitzt dargestellte Korruption in der Ukraine. Ohja, die Serie ist gut. Sie ist sehr politisch und sie führt nicht nur die ukrainische Politik und ihre Probleme vor, sondern auch die EU und den Internationalen Währungsfonds.

Und obwohl die Serie natürlich fiktiv ist und durch ihre Dramedy-Brille verklärt, lässt sie dennoch tief blicken. Wer bisher nicht wirklich viel über die Ukraine wusste, sich jetzt aber wegen des schrecklichen Krieges dafür interessiert, dem bringt die Serie das Land definitiv näher. Als Zuschauer dürfen wir natürlich nicht vergessen, dass sie fiktiv und teilweise stark übertrieben ist. Doch der Kern bleibt, und zwischen dem bunten Treiben auf der Leinwand ist er deutlich zu sehen.

Auch wenn ein direkter Vergleich ein wenig hinkt, kann man „Diener des Staates“ vielleicht als eine europäische Alternative zu „House of Cards“ betrachten. Aktuell hat die Serie natürlich noch einen melancholischen Touch. Wir schauen hier in eine Zeit von vor wenigen Jahren, als marode Straßen noch eines der häufiger thematisierten Probleme in der Serie waren.

In diesem Beitrag möchte ich die Serie ein wenig vorstellen. Ich selbst war sehr positiv überrascht. „Diener des Volkes“ zeigt sich in hervorragender Serienqualität und bringt einige Momente mit, die man sich am liebsten mehrmals anschauen möchte, weil sie so trocken-humorvoll sind.

Diener des Volkes
Volodymyr Selensky als Vasily Goloborodko in Diener des Volkes

Um was geht’s in „Diener des Volkes“?

Vasily Petrowitsch Goloborodko ist Geschichtslehrer an einer Schule. Als ein Freund ihn nach der Schule im Klassenzimmer besucht und die beiden kurz reden, reißt ihm der Geduldsfaden. Es folgt ein Meltdown, in dem er sich über all die Probleme aufregt, an denen die Ukraine derzeit krankt. Er zieht über korrupte Politiker her und darüber, dass das System so aufgebaut ist, dass es nicht fähig ist, sich weiterzuentwickeln.

Ein Schüler filmt den Rant und lädt ihn auf YouTube. Das Video geht viral und obwohl Goloborodko nicht aktiv Wahlkampf macht, wird er völlig unerwartet zum Präsidenten gewählt. Nun hat er die Möglichkeit, seine Forderungen selbst umzusetzen.

Die Serie handelt von einem ehrlichen, bescheidenen Idealisten ohne Interesse an Macht und Reichtum. Und wie er versucht, ein von Korruption und Vetternwirtschaft geprägtes System zu verbessern. Goloborodko ist ein Mann der Prinzipien, sein Antrieb ist, das politische System zu verbessern und Korruption und Verschwendung einzudämmen.

Gleichzeitig sehen wir immer wieder, wie eine Handvoll Oligarchen im Hintergrund die Fäden spinnen. Sie sind es gewohnt, Politiker wie Marionetten zu verwenden und so immer ihre Interessen durchzusetzen. In einer Szene sieht man sie sogar zusammen Monopoly spielen – nur mit echtem Geld und echten Besitztümern. Monopoly auf God-Level sozusagen ^^

Die vorherrschenden Themen

Korruption und Vetternwirtschaft sind sowohl in der Serie, als auch im echten Leben tief in der ukrainischen Gesellschaft verwurzelt (siehe Beitrag der ARD zur Korruption vom 24.06.2022 anlässlich des neuen EU-Kandidatenstatus der Ukraine). Die Korruption reicht von ganz oben bis nach ganz unten.

Die Serie greift beides auf – sowohl die Korruption in den höchsten Ämtern, als auch „beim kleinen Mann“.

Den kleinen Mann verkörpert Goloborodkos eigene Familie. Als Goloborodko Präsident wird, wittern seine Angehörigen die Chance ihres Lebens. Sie versprechen telefonisch Ämter für ihre Bekannten, erwarten Bevorzugung und nehmen gern teure Geschenke an. Goloborodko muss also in seinem direkten Umfeld erstmal anfangen aufzuräumen. Während er als Präsident noch Sparsamkeit und Ehrlichkeit predigt, bereichern sich hinten bereits vor allem Vater und Schwester.

Die Serie überzeichnet dabei viele Situationen und zieht sie ins Amüsante. Es wirkt manchmal schon surreal (oder britisch? ^^), wenn Goloborodkos Vater mit einem Innenarchitekten Pläne über einen luxuriösen Ausbau der Familienwohnung macht. Währenddessen klopft Goloborodkos Schwester Svetlana in allen Ministerien an, um irgendwo einen gut bezahlten Job abzustauben, in dem man möglichst nichts machen muss.

Das zweite große Thema der Serie neben dem Kampf gegen Korruption und dringend nötige Reformen ist der Wunsch der Ukraine, Teil Europas zu werden. Sich also zum Westen zu orientieren, der EU beizutreten und als europäisches Land anerkannt zu werden, das seine Sowjet-Wurzeln hinter sich lässt.

Goloborodko, der politisch unerfahrene Historiker, hat oft Tagträume davon, mit berühmten historischen Personen zu sprechen. So sieht er vor seiner Sprache zur Amtseinführung Abraham Lincoln vor sich, mit dem er darüber spricht, welche Perspektiven ein junges Land hat. Schließlich sind beide Staatsmänner in einer ähnlichen Situation: Sie regieren ein Land, das erst kürzlich unabhängig wurde und seinen eigenen Weg finden muss.

Warum ist „Diener des Volkes so sehenswert?

Für die meisten von uns ist die Ukraine ein weit entferntes Land, das bei uns im öffentlichen Leben oder auch als Reiseland keine große Rolle spielt. Ehemalige Sowjet-Republik, arm und baufällig, mehr oder weniger demokratisch. So ungefähr, oder? „Diener des Volkes“ gibt einen Einblick in das Land und seine Eigenheiten.

Und obwohl die Serie bereits 2015 erschien, läuft es mir als Zuschauer immer wieder kalt den Rücken runter. Viele Szenen und Situationen aus der Serie sind auch heute brandaktuell.

Iwan der Schreckliche und der Sohn, den er angeblich erschlagen hat
Ilja Repin: Iwan der Schreckliche und sein Sohn. Gemälde aus dem Jahr 1885 – Quelle: Wikipedia

Goloborodko sieht sich immer wieder mit unzufriedenen Bürgern und politischen Gegnern konfrontiert. In einer Situation träumt Goloborodko davon, Iwan dem Schrecklichen gegenüberzutreten. Der war im 16. Jahrhundert der erste Zar von Russland und spricht mit Goloborodko wie zu seinem Sohn. Iwan hat ein paar Ratschläge aus seinem eigenen Erfahrungsschatz mit unliebsamen Gegnern. Das Abschlagen von Händen oder Köpfen habe bei ihm immer Wunder gewirkt. Goloborodko sagt, dass man das heute nicht mehr so macht. Iwan fragt, warum denn nicht? Goloborodko sei doch wie er auch ein russischer Zar? Nein, sagt Goloborodko, er ist kein russischer Zar, sondern ukrainischer Präsident und die Ukraine orientiert sich jetzt an Europa und nicht mehr an den Zaren. „Wir haben einen anderen Weg gewählt“. Daraufhin wird Iwan sehr wütend, er verachtet das westliche Europa … und erschlägt „seinen Sohn“ Goloborodko ganz nach historischem Vorbild. – Also wenn da keine Putin-Vibes aufkommen, dann weiß ich auch nicht!

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In einer anderen Szene, die du nebendran direkt anschauen kannst, bekommt Globorodko einen Anruf von Angela Merkel, die ihm mitteilt, dass die Ukraine jetzt in die EU aufgenommen worden sei. Der Präsident springt vor Freude fast in die Luft und die Welt blüht auf – bis Merkel merkt, dass sie sich verwählt hat und eigentlich Montenegro erreichen wollte.

Da wird einem doch schon ganz anders, wenn man bedenkt, dass die Ukraine kürzlich ganz frisch den Kandidatenstatus erhalten hat – wie von der Leyen sagte: Die Ukraine hat gezeigt, dass sie für die europäischen Werte bereit ist zu sterben.

In einer anderen, denkwürdigen Folge wird Goloborodko entführt und nach Butscha gebracht. Das ist der Vorort von Kiev, in dem die russischen Besatzer schwere Kriegsverbrechen begangen haben. Der frühere Serienschauplatz mit idyllischem See ist bzw. war 2022 ein Kriegsschauplatz. Die Sinnlosigkeit und Gewalttätigkeit des Krieges wurde mir hier nochmals wieder bewusst.

„Diener des Volkes“ ist auch deswegen so sehenswert, weil die Serie so selbstironisch ist. „Gibt es denn keine ehrlichen Menschen in der Ukraine?“ ruft Goloborodko zu Beginn, als er unbestechliche Kandidaten für Ministerämter sucht. Irgendwie scheint jeder Kandidat von Vetternwirtschaft zu profitieren oder irgendwelchen illegalen Geschäften nachzugehen, während Beamtengehälter bereits seit Monaten nicht bezahlt wurden. Und das zeigt die Serie oft schonungslos schmerzhaft.

Zwei Straßenpolizisten unterhalten sich. „Hast du heute schon was gegessen?“, fragt der eine. „Nein,“ sagt der andere. Ein Auto nähert sich. „Ah, da kommt unser Essensgeld“, sagt der erste Polizist und hält das Auto an. Offenbar war es bis 2014 noch keine Seltenheit in der Ukraine, jedem Polizisten erstmal Schmiergeld abdrücken zu müssen. In diesem Fall klappt das allerdings nicht, denn im Auto sitzt Goloborodkos Vater, und somit der Vater des Präsidenten. Die Polizisten wittern eine Chance und gehen gleich für den Präsidentenvater in der angrenzenden Shopping Mall .. „einkaufen“.

Da Richter in der Serie fast ausnahmslos bestechlich sind, muss dann eben auch mal ein Prediger herbeizitiert werden. Der ist gerecht, präsentiert aber seine Urteile in orthodoxem Kirchensingsang – ich bin fast von der Couch gefallen.

Priester mit Handy und Außenminister
Kein Richter, aber zumindest gerecht: Ein Priester

Kredite aus dem Internationalen Währungsfonds werden auch immer wieder thematisiert. Goloborodko muss feststellen, dass er von seinem Vorgänger einen Kredit geerbt hat, den die Ukraine nun zurückzahlen muss. Sein Premierminister rät ihm, entweder einen Aufschub zu erwirken (und dann noch einen und noch einen), oder den Kredit über einen anderen Kredit abzuzahlen. Dann wäre der das Problem von Goloborodkos Nachfolger :D

„Kein Präsident sollte nach vorne schauen. Leben Sie im Hier und Jetzt. So haben wir das immer gemacht“, rät er Goloborodko. Der will das so nicht durchgehen lassen und führt eine ungeliebte Alkoholsteuer ein, um den Kredit zu bedienen. Damit zieht er sich natürlich den Unmut des Volkes zu. Man hat es nicht leicht als ehrlicher Präsident!

Zum Glück fällt den findigen Beratern was ein, um das aufgebrachte Volk von der Straße zu holen. Sie lassen verbreiten, dass ein Asteroid im Anflug sei, der in der Ukraine aufschlagen und das ganze Land vernichten werde. … Auf einmal haben dann doch alle was anderes vor. Goloborodko ist allerdings entsetzt und faltet sein PR-Team zusammen.

Ganz am Anfang muss Goloborodko proben, ausländische Regierungschefs zu empfangen. Er sitzt in einem Sessel und Schauspieler, die Obama, Merkel, Sarkozy, Putin und weitere darstellen sollen, kommen herein. „Geben Sie Frau Merkel fest die Hand. Wir benötigen viel Geld von ihr. Je besser der Händedruck, desto mehr Geld„, lautet der Ratschlag von Goloborodkos Premierminister. ^^ Als ganz am Ende noch der belarussische Machthaber Lukaschenko hereinkommt und Goloborodko hektisch zur Begrüßung aufstehen möchte, winkt der Premier schnell ab: „Neinnein, bleiben Sie sitzen.“ – Lukaschenko ist enger Verbündeter von Putin, über belarussisches Staatsgebiet griff Russland im Februar auch die Ukraine an. Offenbar hat man schon vor sieben Jahren nicht so viel von ihnen gehalten ^^

Auch die Rangeleien im Parlament, die immer mal wieder in die Nachrichten gekommen sind, nimmt die Serie dankbar auf. Goloborodko gelingt es mehrmals, die Streithähne zu trennen, indem er laut in den Parlamentssaal ruft, dass Putin abgesetzt wurde („Erstaunlich, das funktioniert jedes Mal“, brummelt er dann noch).

Die Träume des Präsidenten

Vor allem in den früheren Folgen führt Goloborodko immer wieder gedankliche Gespräche mit historischen Persönlichkeiten. Manchmal hat er auch längere Tagträume.

Die Serie zeigt die Ukraine als Land, das tief in unvorteilhaften Strukturen festhängt, sich davon aber eigentlich lösen muss. Goloborodko versucht alles, um gegen drei mächtige Oligarchen vorzugehen. Als sich ein Plan abzeichnet, beginnt er zu träumen…. Die Ukraine konnte Korruption besiegen und wurde aufgrund ihrer reichen Bodenschätze und Agrar-Exporte zu einem der reichsten und angesehensten Länder der Welt.

Der IWF-Präsident ruft ständig an und bittet weinend um weitere Kredite. Die Präsidentenfamilie leistet sich Pelzmäntel und Hauspersonal aus Italien und Spanien. In seiner Neujahrsansprache bittet Goloborodko die einfachen Bürger, nicht ständig ihre Hubschrauber zu benutzen, weil der Luftraum zu voll ist. Ein schöner Traum.

… und seine Alpträume

„Diener des Volkes“ ist manchmal recht eigenwillig. Die Serie schwankt zwischen Fremdscham, Selbstironie und Tragi-Komik. In einer Folge erlangt die Ukraine Visa-Freiheit für Europa. Für die Ukrainer ist das ein großer Schritt, da sie nun ohne Visum nach Europa reisen können. Das war zum Erscheinungszeitpunkt der Serie ein wichtiges Thema, die Visumsfreiheit erlangte die Ukraine in der Realität 2017.

Goloborodko ist sehr froh über den Erfolg und den weiteren Schritt Richtung Europa. Die Ukrainer können nun Urlaub in Europa machen und dort auch einfacher einkaufen. Am nächsten Tag allerdings ….. sind alle Menschen verschwunden. Alle außer ihm haben die Ukraine verlassen und Goloborodko bleibt wie ein Robinson Crusoe allein zurück.

Ein Jahr später ist ihm ein langer Bart gewachsen und das Präsidentenamt hat er in einen Ziegenstall verwandelt. Für diese Episode hat sich die Serie fast eine ganze Folge Zeit genommen. Zum Glück nur ein Alptraum.

Vor allem in den späteren Folgen sickert in „Diener des Volkes“ immer wieder auch durch, dass eine gewisse Sorge darüber herrscht, dass die Ukraine sich auflösen könnte. Kein Wunder, zum Entstehungszeitpunkt hatte Russland bereits die Krim annektiert und die Separatisten im Osten unterstützt.

Die Nebenfiguren

Neben Goloborodko und seiner Familie spielen auch Goloborodkos frühere Weggefährten eine wichtige Rolle.

Da haben wir z.B. den bäuerlichen Sergei Wiktorowitsch Mukhin, einen erfolglosen Schauspieler, den Goloborodko als Außenminister eingesetzt hat. Eine absolute Fehlbesetzung, denn eigentlich interessiert sich Mukhin nur für Frauen. Zum Glück kann seine Assistentin Oksana alles, was er nicht kann.

Es ist ein Running Gag der Serie, dass sie ihren Chef vor jedem einzelnen Treffen mit ausländischen Vertretern erstmal genau erklären muss, um welches Land es geht und wie man sich zu benehmen hat. „Ich könnte zur Auflockerung ja einen Witz erzählen“, überlegt Mukhin vor einem Treffen mit einer niederländischen Delegation. Oksana fragt misstrauisch nach, was das denn für Witze seien – sie vermutet zurecht, dass sie etwas unangebracht sein könnten. Der eine Witz war dann heftig transphob, der andere sehr grausam (ertränkte Katzen). Sie muss ihm erstmal lang und breit erklären, dass beides nicht witzig für die Niederländer wäre – und zum Glück kann sie beim Dolmetschen auch noch nachhelfen.

Allerdings hilft das auch nicht immer. Die Originalsprache in „Diener des Staates“ ist Russisch, nicht Ukrainisch. Die Zweisprachigkeit des Landes kommt immer wieder zur Sprache und es wird gezeigt, dass selbst der Präsident und seine Minister nicht besonders gut in Ukrainisch sind (wie Selensky übrigens auch nicht, laut Wikipedia musste er Ukrainisch erst lernen, als er Präsident wurde). Und so lädt Mukhin wegen schlechter Sprachkenntnisse versehentlich Nord- statt Südkorea zu einem internationalen Gipfel ein.

Auch Jurij Iwanowytsch Tschujko, Premierminister und Goloborodkos wichtigster Berater zu Beginn seiner Präsidentschaft, ist eine wichtige Figur in der Serie. Hier möchte ich nicht zu viel verraten, aber das Zusammenspiel zwischen den beiden ist immer wieder eine wahre Freude. Tschujkos trockener Humor und sein Sarkasmus entlarven ihn manchmal schon fast als Troll. Er schämt sich nicht, seinen naiven Präsidenten immer wieder auflaufen zu lassen. Unbedingt sehenswert :D

Premierminister und Präsident im Auto
Auf einmal Präsident: Premierminister Tschujko holt den neuen Präsidenten aus dem Elternhaus ab

Am Ende sind natürlich auch noch Goloborodkos Vater und Schwester zu erwähnen. Gerade der Vater scheint den Sohn nicht wirklich als erwachsenen Menschen und vor allem Präsident wahrzunehmen. Trifft sich Goloborodko mit seinen Ministern am elterlichen Tisch, meint man immer, dass der Vater um die Ecke kommt, um ihm die Ohren langzuziehen und zu fragen, ob er auch die Hausaufgaben gemacht hat.

Manchmal wirken Vater und Sohn wie Homer und Bart Simpson. Goloborodkos Vater geht dem Präsidenten wortwörtlich an die Gurgel oder jagt ihn mit der zusammengerollten Zeitung durchs Haus, wenn er das Gefühl hat, dass Goloborodko mal wieder eine Sparmaßnahme zuviel im Parlament verkündet hat. Und die Schwester ist ähnlich toxisch. Beide verstehen nicht wirklich Goloborodkos Prinzipien und warum er sich mit dem System des persönlichen Profits so schwertut. Das zu sehen ist manchmal schmerzhaft, meistens aber auch ziemlich amüsant :D

Fazit zu „Diener des Volkes“

Auch wenn man die Serie nicht mit der Realität verwechseln darf, zeigt sie sehr deutlich, was in der Ukraine los ist – oder eher war, bis vor dem Krieg. Sie war ein armer Staat, der einen schwierigen Balanceakt zwischen sowjetischer Vergangenheit und gewünschter europäischer Zukunft zustande bringen muss. Hinderlich daran sind Korruption und Vetternwirtschaft, sowie die stetige Sorge, durch innen- oder außenpolitische Impulse auseinanderzubrechen. Gleichzeitig spürt man eine Sehnsucht nach internationaler Anerkennung als gleichwertiger Staat im Völkerbund.

Das alles ist sehr interessant zu sehen. Allerdings muss man dazu keine Serie schauen. Deswegen möchte ich betonen, dass „Diener des Volkes“ auch abseits von Krieg oder interessanten Einblicken eine sehr kurzweilige Serie ist. Sie ist voller Humor und teilweise überraschenden Wendungen. Damit kann ich sie auf jeden Fall empfehlen anzuschauen. Nicht alle Episoden warten mit Highlights auf, aber es lohnt sich immer, aufmerksam zu folgen.

Ein paar Worte zu Selensky …

Was aber auch klar wurde ist, wie heikel die ganze Geschichte mit Selenskys Präsidentschaft ist. Ich habe mich dazu nicht in die Tiefe informiert. Aber die die Serie zeigt Selensky in einer Rolle als bescheidenen und ehrlichen Menschen, der schwierige Entscheidungen treffen muss. Die trifft er aber immer zugunsten des Landes, auch wenn es kurzfristig schmerzhaft sein kann. So ein Politiker wäre doch ein Traum, oder?

Dass die Ukrainer dann gerade Selensky, also den Hauptdarsteller, als Präsidenten wählten, zeigt, dass der Wunsch nach einem solchen Regierungschef groß war. Selensky verdankt seine Wahl zum Präsidenten auch teilweise dieser Rolle. Seine politische Partei, Sluha narodu (= Diener des Volkes) ist sogar nach der Serie benannt. Das wirkt ein wenig, als hätte sich das Image des integeren, unbestechlichen Präsidenten auf Selensky selbst übertragen.

Das ist natürlich gefährlich, denn als Schauspieler hat Selensky tendenziell nur eine Rolle gespielt. Ich mag Selensky, aber ich gebe zu, dass ich vor dem Krieg nur mal was von ihm gehört habe, als Trump wegen dessen Telefonat mit Selensky 2019 impeached wurde. Ich mag ihn wegen seiner Rolle als volksnaher und tapferer „Kriegspräsident“. Alles davor kenne ich nicht genug.

Seine Wikipedia-Seite erwähnt, dass Selensky durchaus eng mit Oligarchen verbunden war und von einem von ihnen stark gefördert wurde. Er konnte im Präsidentschaftswahlkampf auch glänzen, weil er gute Präsenzzeiten in einem Fernsehsender bekommen hat, der einem Oligarchen gehört. In der Serie hat er genau das immer kritisiert und abgelehnt.

Auch Beteiligungen in Steueroasen wurden Selensky offenbar nachgewiesen. Laut Wikipedia ist das in der Ukraine nicht strafbar, aber das alles zeigt schon, dass Selensky nicht der Präsident ist, den er als Goloborodko verkörpert.

Ganz unproblematisch finde ich es daher nicht, dass Selensky einen utopisch guten Präsident spielt und dann selbst als Präsident antritt. Ob er ein „guter“ Präsident ist oder selbst ein Politiker ist, der das System ausnutzt, kann und möchte ich hier nicht beurteilen.

… und zu dem, was „Diener des Volkes“ nicht sagt

Auch der seit 8 Jahren bestehende Konflikt mit Russland wird in „Diener des Staates“ nicht thematisiert. 2014 hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und danach Separatisten in den östlichen Regionen der Ukraine unterstützt. Es kam zu regionalen kriegerischen Handlungen.

In der Serie ist die Krim nicht nur auf allen Landkarten als Teil der Ukraine zu sehen (was nicht überrascht). Es wird auch ausdrücklich erwähnt, dass die Krimbewohner bei den Präsidentschaftswahlen (nach 2014) mit wählen, obwohl sie das seit 2014 nicht mehr können. Auch über den brüchigen Waffenstillstand im Osten wird nichts berichtet. Die Serie blendet die Annektierung der Krim oder die Separatistengebiete einfach aus.

Die Serie, die natürlich kommerziellen Erfolg erzielen wollte – möglicherweise als Sendung in russischer Sprache auch in Russland, zeigt die Ukraine eher als schrulligen, armen Staat mit diversen Problemen. Schärfere Russland-Kritik als hier und da ein Seitenhieb auf Putin oder gar Krieg bleiben außen vor.

Tatsächlich wird „Diener des Staates“ sogar eine gewisse Ukraine-Phobie nachgesagt. Immerhin ist die Originalsprache der Serie Russisch und nicht Ukrainisch, und auch der Präsident und sein Kabinett sprechen nur Russisch. In der zweiten Staffel bemüht sich die Serie aber, es mit Ukrainisch zumindest zu versuchen, die Figuren bemühen sich, Ukrainisch zu lernen. Vielleicht haben sie damit auf die Kritik reagiert.

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