Ein adrett gekleideter Mann schnipst eine Münze zwischen seinen Fingern herum, während er darauf wartet, dass der Aufzug das gewünschte Stockwerk erreicht. Der Aufzug stoppt, der Mann, anhand seiner Kleidung und einer kleinen Leuchtdiode an der Schläfe eindeutig als Android zu identifizieren, verlässt den Aufzug und schaut sich um. Ein Polizist in schwerem Kampfanzug erwartet ihn. Das Apartment wird nur von einem großen Aquarium beleuchtet, ein Fisch zappelt am Boden. Im Nebenraum schreit und weint aufgeregt eine Frau. Wir merken: Hier läuft etwas ganz und gar schief. So beginnt Detroit: Become Human.
Entwickler: Quantic Dream
Release (PS4): April 2018
Release (PC): Dezember 2019
Detroit: Become Human habe ich in den letzten Wochen als Let’s Play gespielt – die erste Folge findet ihr unten – und war vom ersten Augenblick an mitgerissen. Wir erleben hier ein Meisterwerk der Kombination von Spiel und Film, von spannender Story und packender Action und nicht zuletzt von Schauspielerei und CGI-Animationen. Das Spiel gehört zu den packendsten Story-Erlebnissen, die ich jemals in einem Spiel hatte, und deswegen stelle ich es euch heute vor :D
Das Spiel ist linear in mehrere aufeinander aufbauende Story-Kapitel aufgeteilt, und gleich das erste Kapitel, in dem wir mit dem Androiden Connor eine der drei Hauptfiguren kennenlernen, hat es in sich.
Nachdem wir uns ein wenig mit der Steuerung vertraut gemacht haben – dazu weiter unten mehr – erfahren wir, dass Connor, Modell RK800, für Ermittlungsarbeiten konzipiert wurde. Wir befinden uns hier nämlich an einem Tatort, und der Täter ist ein PL600, ein Haushaltsandroid namens Daniel. Er hat den Familienvater erschossen und die kleine Tochter als Geisel genommen. Connor soll herausfinden, was passiert ist und das Mädchen vor dem Abweichler, also dem „durchgedrehten Androiden“, retten.
Und so schauen wir uns im Apartment nach Hinweisen um. Connor analysiert sie und rekonstruiert die Geschehnisse. So kann er sich Daniel nähern, der auf der Dachterrasse völlig aufgelöst mit einer Waffe das Mädchen bedroht. Je nachdem, welche Hinweise wir gesehen und untersucht haben, bekommen wir nun verschiedene Gesprächsoptionen – und je nachdem, welches Vorgehen wir wählen, wird die Situation einen unterschiedlichen Ausgang nehmen.
Die Abfolge der Kapitel in Detroit: Become Human mag linear sein – deren Ausgang hängt jedoch vom Spieler ab.
Und so ergeben sich durch unsere Spielweise völlig unterschiedliche Lösungswege und dementsprechend auch zahlreiche verschiedene Ausgänge für das Spiel. „Mein“ Detroit: Become Human könnt ihr in voller Länge – etwa 11-12 Stunden – im Let’s Play unten sehen.
Die Welt von Detroit: Become Human
Im Jahr 2038 ist Detroit nicht mehr das „Motor City“ mit verfallendem Glanz wie bei uns. Detroit gilt nun als Android City – hier erfand zehn Jahre zuvor Elijah Kamski, ein junger Visionär und Gründer der Firma CyberLife, die notwendigen Komponenten, mit denen es möglich ist, menschenähnliche Androiden zu bauen. Diese Erfindung machte CyberLife zum wertvollsten Unternehmen der Welt und Androiden begannen, in allen Bereichen des Lebens eingesetzt zu werden.
Sie übernehmen nun jegliche unliebsame Arbeiten, fungieren aber auch als Lehrer, Mediziner, Beziehungspartner, persönliche Assistenten, Verkäufer und viel mehr. Das klingt zwar schön – mehr Freizeit für die Menschen. Aber damit verbunden sind auch alle Probleme im Zusammenhang mit der Digitalisierung: Die Arbeit von Menschen wird durch Roboter ersetzt.
Das führt dazu, dass viele Menschen ihre Stellen und damit ihren Status verlieren. Einerseits bedeutet der Einsatz von Androiden eine atemberaubende Verbesserung der Lebensqualität der Menschen und die Vermehrung von Reichtum für die einen, für die anderen aber das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit, in Suchtprobleme und ein perspektivloses Leben. Weitere Einblicke bekommen wir durch TV-Sendungen und interaktive Magazine, die überall herumliegen.
In Detroit: Become Human erleben wir diese Welt und deren Missstände abwechselnd in der Plastikhaut von Connor, Kara und Markus.
Kara ist Hausmädchen und Kindererzieherin bei Todd, einem Mann, der zusammen mit seiner kleinen Tochter Alice in ärmlichen Verhältnissen lebt und mit schweren mentalen Problemen zu kämpfen hat. Todd gibt Androiden die Schuld an seinem Unglück und ist dementsprechend ein schwieriger Umgang für Kara.
Markus dagegen ist der persönliche Assistent des gebrechlichen alten Künstlers Carl. Sie leben zusammen in einer großen Villa, wo Carl im Grunde seinen Lebensabend verbringt. Carl betrachtet Markus fast als eigenen Sohn – bis Umstände eintreten, durch die Markus sein bisher angenehmes Zuhause verliert.
Durch die drei Protagonisten bekommen wir am Anfang gute Einblicke in die Welt von Detroit: Become Human. Wir erleben Proteste gegen Androiden. Wir erleben auch, wie Menschen Androiden als funktionale Maschinen behandeln und ihre Aggressionen und Launen an ihnen auslassen.
Und vor allem erleben wir, dass viele Androiden durch äußere Umstände Befehle nicht mehr einfach nur befolgen, sondern beginnen, aus ihrer Programmierung auszubrechen.
Entscheidungen, die es in sich haben
Detroit: Become Human hat keine große, offene Welt. Wir werden relativ klar geleitet und können uns nur begrenzt frei bewegen. Das ist zwar schade, denn das Detroit im Spiel ist atemberaubend lebendig und detailverliebt gestaltet. Glaubhaft bewegen sich hier Menschen (und/oder Androiden), führen Gespräche oder arbeiten. Das gelang den Ermittlern dadurch, dass alle Szenen von Schauspielern gespielt wurden, anstatt nur virtuelle Figuren zu animieren. Die Bandbreite an Bewegungen der Figuren (auch der Nebenfiguren!) ist damit größer, die Dialoge wirken echter als einfach nur im Studio eingesprochene Sätze.
Aber die Begrenzung des Bewegungsraums des Spielers ermöglicht auch die Modellierung eines Spannungsbogens, den Open World Spiele so nicht bieten können. Wir erleben in Detroit: Become Human eine faszinierende Mischung: Einerseits können wir den zur Verfügung stehenden Raum erkunden und Hinweise suchen (mit einer Spezialsicht werden interagierbare Objekte hervorgehoben), andererseits werden wir aber auch gnadenlos in der Geschichte vorangetrieben und treiben so von Videosequenz zu Videosequenz.
Die Geschichte und die Entscheidungen, die sie uns abverlangt, sind – neben der faszinierenden Atmosphäre und der hervorragenden Grafik – die große Stärke von Detroit: Become Human. Oft haben wir für das Treffen von Entscheidungen auch nicht viel Zeit. Es gilt, in kürzester Zeit zur Waffe zu greifen oder zu fliehen, jemanden zu bestehlen oder ehrlich zu bleiben … oder noch viel schlimmer.
Und diese Entscheidungen haben es oft in sich. Wer sich nur halbwegs auf die im Spiel skizzierten Problematiken einlässt, der hat hier durchaus dran zu kauen. Denn im Spiel geht es um nicht weniger als darum, was einen Menschen, bzw. intelligentes Leben ausmacht. Ist ein Android nur ein lebloser Haufen Komponenten, auch wenn er äußerlich und in seinem Verhalten nicht von einem Menschen zu unterscheiden ist? Auch dann, wenn er sichtlich leidet und beteuert, zu leben und Angst zu haben?
Das Leben der Androiden
Immer wieder fühlte ich mich in Detroit: Become Human an Situationen aus der menschlichen Historie erinnert. An die Versklavung von Afrikanern, an Deportationen von Juden, an indigene Ureinwohner, denen Versprechungen gemacht werden, nur um sie wieder zu brechen. Das alles geschah immer unter dem Argument, dass die unterdrückte Seite sowieso keine vollwertigen Menschen seien. Mittlerweile sind das ganz dunkle Episoden in der Geschichte der Menschheit.
Heute diskutieren wir aber noch immer darüber, ob Tiere Schmerzen empfinden können – Massentierhaltung ist auch nur dann möglich, wenn wir alle uns einreden, dass diese Tiere doch sowieso kaum mitbekommen, wie ihnen geschieht. Denn wenn wir ihnen Schmerzen und Gefühle zugestehen würden, müssten wir umgehend damit aufhören – es wäre ja unmenschlich, fühlende Wesen derart auszunutzen.
Diese Frage stellt also Detroit: Become Human. Sind Androiden eine neue Form von Mensch und verdienen damit Rechte? Oder sind es nur Maschinen, die Bewusstsein vortäuschen?
Ja, die Entwickler konzipieren Detroit: Become Human eindeutig mit Sympathien für die Androiden. Sie begeben sich mit ihrem Spiel auf eine Schiene wie bereits andere Filme und Geschichten, etwa
- Der Zweihundertjährige (Film: Der 200 Jahre-Mann)
- AI – Artificial Intelligence
- I, Robot
Auch „Die Stahlhöhlen“ von Isaac Asimov haben die Storyschreiber von Detroit: Become Human sicher gelesen. Die Handschriften von Asimov und Philipp K. Dick sind also klar zu erkennen, und auch die Serie Westworld schlägt in eine ähnliche Kerbe.
Ich weiß nicht, ob künstliche Intelligenzen ein Bewusstsein entwickeln können wie wir Menschen. Darüber haben sich schon viele Romanautoren und Wissenschaftler den Kopf zerbrochen. Aber wenn mir im Dialog jemand glaubhaft versichert: Ich möchte leben, ich habe Angst, ich bin nicht nur eine Maschine – dann bin ich geneigt, das zu glauben. Wer bin ich denn, das abstreiten zu können. Über Frauen hieß es in der westlichen Welt noch vor weniger als 100 Jahren, dass sie dies und das einfach nicht können, weil ihnen dazu die Intelligenz oder das Können oder der Körperbau fehle.
Ein interaktiver Film
Wie genau funktioniert nun also Detroit: Become Human? Es handelt sich tatsächlich um eine Mischung aus Spiel und interaktivem Film. Episoden, in denen wir ein wenig Zeit haben, uns umzusehen und Hinweise zu sammeln, wechseln sich ab mit filmreifen Sequenzen, in denen zusehen, wie unsere Protagonisten agieren. Oft können wir das irgendwie steuern – entweder durch schnelle Entscheidungen, etwa das Finden von Routen oder durch das rechtzeitige Drücken von vorgegebenen Tastenbefehlen. Bekommen wir das nicht hin, wird der Charakter zusammengeschlagen oder das, was er tut, ist einfach nicht erfolgreich.
Die Kapitel sind dabei sehr abwechslungsreich gestaltet. Mal verfolgen wir in wilder Jagd einen Abweichler und müssen dabei über Zäune klettern und Abgründe überwinden. Mal suchen wir auf einer Straße nach einer Unterkunft für die Nacht und begegnen dabei – je nachdem, was wir machen – unterschiedlichsten Personen. Oder wir besuchen einen Nachtclub und durchsuchen die Erinnerungen der dort eingesetzten Androiden. Oder wir räumen erstmal nur einfach das Haus auf oder servieren Frühstück. Langweilig wird es definitiv nicht!
Die Grafik und die Animationen sind dabei allerbeste Profiarbeit. Wie oben erwähnt, haben Schauspieler die Szenen eingespielt. Im Hauptmenü kann man sich Videos zur Entstehung des Spiels ansehen: Die Szenen wurden eins zu eins gespielt und in die Spielwelt übertragen. Dadurch wirken Gesichtsausdrücke und Bewegungen extrem realistisch. Auch die Umgebungen sind hervorragend gestaltet. Was sich da alles – auch ganz ohne Ray Tracing – in Autoscheiben spiegelt! Wie Schritte Fußabdrücke im Schnee hinterlassen! Wie Autos, Busse und „Androiden-Parkplätze“ in der Stadt designed wurden!
Es ist zwar nicht direkt vergleichbar, aber Detroit: Become Human muss sich in Bezug auf Story und Umsetzung nicht vor Cyberpunk 2077 verstecken.
Erstmals habe ich daher auch ein Let’s Play von mir meinem Vater empfohlen, der sich immer über Tipps für Science-Fiction-Filme (und Bücher) freut. Als Spieler ist man nämlich bis zu einem gewissen Grad auch selbst Zuschauer.
Aber es läuft auch nicht alles rund
Ein paar „Kleinigkeiten“ habe ich auch zu bemeckern.
Erstens: Bei mir auf dem PC stürzte das Spiel anfangs alle paar Minuten ab. Es handelt sich ja um einen PC-Port von der PS4, und bei mir und vielen anderen scheint das nicht besonders gut zu laufen. Ich musste mehrere alte Grafiktreiber runterladen, bis ich einen fand, mit dem das Spiel stabil lief. Hier kann ich nur empfehlen: Gebt dem Spiel eine Chance. Versucht es mit anderen Grafiktreibern (oder spielt das Spiel auf der PS4) – es lohnt sich!
Zweitens: Die Steuerung. Die Steuerung war ursprünglich für einen Controller ausgelegt. Im Gegensatz zu anderen Spielen gibt es keine Aktionstaste „E“ oder so, mit der man etwas aufhebt oder untersucht. Stattdessen muss man mit der Maus vorgegebene Gesten ziehen oder verschiedene Tasten kurz oder lang oder in bestimmten Kombinationen drücken. Das kann sich von Situation zu Situation sehr unterscheiden und bedarf am Anfang etwas Übung. Aber spätestens nach einer Stunde hat man das drin. Es ist nur .. naja, gewöhnungsbedürftig.
Drittens: Gesprächsoptionen. Die Gespräche können wir meistens irgendwie lenken, etwa Nachfragen stellen oder eine Handlung vorgeben. Die Gesprächsoptionen sind aber oft so zusammengefasst, dass ich als Spieler nicht weiß, was genau gemeint ist. Da steht dann „Uhrzeit“ oder „Bruder“ oder „Abweichler“. Aha. Ich weiß im Voraus dann nicht, was genau mein Protagonist sagen wird, wenn ich die Option wähle. Im Beispiel mit der Uhrzeit bezog er sich dann darauf, dass ein NPC heute zu spät zur Arbeit erschienen ist. Das macht Dialoge oft sehr schwammig – und hin und wieder kommt es vor, dass wir durch die gewählte Option einen Ablauf triggern, den wir gar nicht gewollt hätten. In manchen Fällen ist das sehr ärgerlich, aber im Großen und Ganzen geht es meistens gut.
Mein Fazit zu Detroit: Become Human
Das Spiel hat noch einen Nachteil: Es ist zu schnell zu Ende. Mein Durchgang hat nur 11 oder 12 Stunden gedauert. Ich hätte noch viele Stunden weiterspielen können. Aber man muss bedenken, dass man beim ersten Durchspielen einen Großteil verpasst. Durch das Einschlagen eines bestimmten Weges fallen andere Wege weg und man verpasst ganze Situationen. Wer am Anfang des Spiels einen NPC erschießt, kann ihm später nicht mehr begegnen.
Am Ende jedes Kapitels sehen wir eine Übersicht mit allen Entscheidungsknoten und den Weg, den wir dabei genommen haben. Und wir sehen, wo wir damit Handlungen verpasst haben. So ist es also üblich, dass am Ende eines Kapitels irgendwas der Art steht, dass wir 30 % des Kapitels gesehen haben.
Es lohnt sich also, das Spiel mehrmals durchzuspielen. Auf diese Weise erlebt man völlig andere Verläufe – und damit irgendwie auch ein ganz anderes Spiel.
Insgesamt empfehle ich Detroit: Become Human von ganzem Herzen. Ein Story-Spiel wie dieses ist mir so noch nie untergekommen. Selten habe ich so mitgelitten und wurde zu so schwierigen Entscheidungen getrieben. Und das bei einer so sensiblen, schwierigen Thematik, nämlich, „was bedeutet Leben?“.
Hervorzuheben ist am Ende auch die Extras-Sektion des Spiels im Hauptmenü. Bieten andere Spiele hier meistens nur die Credits an, gibt es hier wirklich viel zu entdecken. Die verfügbaren Inhalte müssen wir aber erst „kaufen“. Durch das Absolvieren von Kapiteln verdienen wir automatisch Punkte, die wir hier für Extras ausgeben können. Darunter fallen Dutzende Artworks, Charakter-Informationen, Concept Trailer, Making Of’s und mehr. Es macht riesig Spaß, sich hier später mit den erspielten Punkten nochmal durchzuwühlen.
Ein weiteres Gimmick ist das Hauptmenü selbst. Hier werden wir von einer freundlichen Androiden-Dame begrüßt, die unser Spiel „beaufsichtigt“. Hin und wieder lässt sie sich zu kleinen Specials und Scherzen hinreißen, und sie schafft es damit hin und wieder, den Spieler zu überraschen.
Detroit: Become Human ist auf ganzer Linie ein Gewinn, und wer sich für Geschichten im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz interessiert, oder auch für lineare Story-Spiele, der MUSS dieses Spiel gespielt haben!
Wie sagte doch Marshall McLuhan: „Wir formen unser Werkzeug und danach formt unser Werkzeug uns.“
Das beschreibt meiner Meinung das Spiel am besten. Als ich das Spiel selber gespielt habe, hat es mich null gepackt. Doch als Zuschauer fand ich es viel interessanter :D Es gibt auch viele verschiedene Enden, die auch z.T. an eine schreckliche Zeit erinnern und auch schockiert haben…Ich selber würde es nicht spielen wollen aber zum Zuschauen war es top.
Hey Buster :D Vermutlich hat Marshall McLuhan Recht :D
Eeeeeecht, das Spiel hat dich gar nicht gepackt? Wie krass! Danke aber für deinen Kommentar :)