[Serie] Tote Mädchen lügen nicht | Mobbing in der High School

„Wenn du dich beim Anschauen dieser Serie nicht wohlfühlst, dann sprich mit jemandem darüber.“ – Die Serie, bei der Mobbing und weitere Konflikte in der Schule mit dem Suizid einer Schülerin endet, polarisierte und Netflix fühlte sich dazu veranlasst, einen Hinweis auf die Suche nach professioneller Hilfe vorzuschalten. Es geht um die High School-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“.

Original: 13 reasons why
Jahr: 2017 –
Staffeln: 2 + 1 in Planung (2019) (das folgende Review behandelt nur Staffel 1!)
Jeweils 13 Folgen

Zur Handlung von „Tote Mädchen lügen nicht“

Die Serie setzt zwei Wochen nach dem Suizid der High School-Schülerin Hannah an. Die Schüler sind noch geschockt und an Hannahs früherem Spind stehen Blumen und Abschiedsbriefe. Der stille Schüler Clay scheint das 17-jährige Mädchen halbwegs gekannt zu haben. Dann findet er abends einen Schuhkarton mit Kassetten vor seiner Haustüre.

Die Kassetten wurden von Hannah vor ihrem Tod besprochen, und hier sie erklärt, warum sie nicht mehr weiterleben wollte. Im englischen Original heißt die Serie „13 reasons why“ – also 13 Gründe, warum ich es getan habe. Dieser Titel trifft den Kern der Sache wesentlich präziser als „Tote Mädchen lügen nicht“.

Hannah hat 13 Kassettenseiten besprochen und jede davon einem dieser Gründe gewidmet. So entsteht eine Chronologie der Ereignisse, bei denen eines zum anderen führt. Nachdem intime Fotos von ihr die Runde machten, muss sie mit dem Ruf einer Schlampe leben – das führt dazu, dass ältere Schüler ihre Finger nicht bei sich behalten können oder Hannah nur noch auf ihr Aussehen reduzieren. Es geht um Mobbing, missbrauchtes Vertrauen und unschöne Erlebnisse an der High School oder auf Schülerpartys.

Tote Mädchen lügen nicht

Hannah spricht auf den Kassetten diejenigen direkt an, die durch ihre Handlungen Hannah den Lebensmut genommen haben – wissend, dass sie die Kassetten anhören werden. Als Zuschauer verfolgen wir nun, wie Clay Kassette für Kassette nachempfindet, was Hannah erlebt hat.

„Tote Mädchen lügen nicht“ fußt auf den Ereignissen der Gegenwart nach Hannahs Tod sowie zahlreichen Rückblenden mit Hannah als Sprecherin, in denen wir sehen, was passiert ist. Offenbar haben die anderen Betroffenen die Kassetten alle schon vor Clay gehört, so dass er lange Zeit im Unklaren ist, warum immer viel getuschelt wird.

Für Clay sind die Kassetten ziemlich hart – denn Hannah ist bereits tot, niemand kann ihr mehr helfen. Und jetzt erst erfährt er, wie es ihr im Alltag ging. Als sie noch lebte, hatte er von ihren Problemen gar nichts mitbekommen, bzw. sie nicht ernst genommen.

Hier der Trailer zur 1. Staffel – mittlerweile gibt es zwei Staffeln und eine dritte wurde für 2019 angekündigt.

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Flashbacks in die eigene Schulzeit

Ich glaube, bei dieser Serie bekommt so gut wie jeder Flashbacks in die eigene Schulzeit. Wobei ich glaube, dass aktiven Mobber von damals gar nicht bemerkt haben, wie sehr sie anderen Leuten das Leben zur Hölle gemacht haben. Für sie war es nur ein Spiel, ein Zeigen, wie cool man vor seinen Freunden ist. Dass dabei das eine oder andere Mal das Ziel ihrer dummen Sprüche und ihrer Wurfgeschosse leise vor sich hingeweint hat, in der Hoffnung, dass sie das nicht mitbekommen – das ist Kollateralschaden.

Ja, ich denke, jeder kennt das, aus der einen oder der anderen Perspektive. Oder aus der Perspektive desjenigen, dem es egal ist. Schöne Zeit der Mittelstufe! In der Oberstufe wurde es bei mir wesentlich besser, aber meine Zeit zwischen der 7. und 10. Klasse auf der Realschule lässt sich am Besten damit beschreiben, aufzupassen, nicht in die verbale (oder physische) Schusslinie zu geraten und sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. Zusammen mit ein paar anderen, die eher still waren, in Sport nicht besonders begabt und mit Klamotten, die nicht der neuesten Schulmode entsprachen.

Stillhalten, immer gut umschauen, und so tun, als ob man es nicht bemerkt, wenn dir irgendwas hinterhergerufen wird oder wenn hinter dir im Bus jemand mit einem Feuerzeug an deinen Haaren herumkokelt. Eigentlich krass, dass es Klassenstufe für Klassenstufe jedes Mal aufs Neue diese paar Typen gibt, die bewusst immer wieder auf den Schutzschild eines Opfers schießen und versuchen, ihn einzureißen, damit Tränen fließen. „Och komm, war doch nicht so gemeint, heul doch nicht gleich!“, zusammen mit einem schmerzhaften Knuff auf den Oberarm. Das hat es nicht besser gemacht.

Deutlich vielschichtiger als nur Mobbing

Erwarte bei „Tote Mädchen lügen nicht“ aber keine Serie, in der sich einfach nur ein Mobbingvorfall an den nächsten reiht. Die dargestellten Konflikte sind deutlich vielschichtiger. Zu den verletzenden Worten, Taten und Gerüchten gesellen sich eine ganze Reihe an Enttäuschungen, Vertrauensbrüchen, aufgelösten Freundschaften und schließlich Einsamkeit. Hannah leidet außerdem an Schuldgefühlen, denn zweimal hätte sie selbst Schlimmeres verhindern können, tat es aber aus Angst und Schock nicht, so dass andere dadurch verletzt wurden.

In dieser Situation kommt alles zusammen. In „Tote Mädchen lügen nicht“ wird immer wieder thematisiert, dass eine Verkettung unglücklicher Ereignisse zu Hannahs Tod führte, und hätte nur einer der Beteiligten in einer bestimmten Situation anders reagiert, hätte auf Hannahs teilweise deutlich geäußerten Hilferufe reagiert, dann würde sie noch leben. Allein die Möglichkeit, mit jemandem über die Probleme zu reden, hätte geholfen.

Wichtig ist übrigens auch, dass nicht alle Schüler „Täter“ sind und dass nicht nur Hannah das Opfer ist. Neben ihr gibt es noch weitere Außenseiter, die ebenfalls unter Schikanen zu leiden haben, aber anders damit umgehen (können). Auf der anderen Seite gibt es einige Schüler, die – obwohl sie beliebt sind und mit den Hauptschikaneuren abhängen – freundlich zu Hannah sind.

Schlampenruf oder einfach nur Mobbingopfer?

Für Hannah, das zukünftige „tote Mädchen“, ging alles damit los, dass ihr Ruf gelitten hat. Es gingen etwas freizügigere Fotos von ihr herum, die ein Mitschüler geschossen und danach herumgeschickt hat. Da ist die „Schlampe“ nicht weit. Und dann schaffte sie es ganz oben auf die „tollster Arsch“-Liste der Jungs – für Hannah auch einer ihrer „reasons why“.

Als ich diese Folge gesehen habe, dachte ich mir nur, dass ich mir sowas früher wohl gewünscht hätte. „Tollster Arsch“, das ist doch fast wie eine Form der Anerkennung oder sogar des Respekts! Nein, während meiner „passiven Mobbingkarriere“ bis zum 17. Lebensjahr war ich für die Ekelpakete in der hinteren Reihe, genau wie meine Freundinnen, kein vollwertiger Mensch und schon gar keine angehende Frau.

Sich in einem Alter, in dem man sich langsam für diese Dinge zu interessieren beginnt, ständig wie ein geprügelter Hund zu fühlen – das tut keinem Ego gut. Ein „Kompliment“ wie „toller Arsch“ – das wär schon was gewesen. Klar, kann ich jetzt leicht sagen, da ich den umgekehrten Fall ja nicht erleben musste.

„Das würde doch sowieso keiner machen.“

Trotzdem, eingängig in Erinnerung blieb mir eine Szene aus meinem eigenen wertvollen Erfahrungsschatz, die ich an dieser Stelle noch loswerden wollte. 7. Klasse, Schullandheim im Allgäu! Ein Alptraum für alle, die lieber mehrere Kontinente Abstand zwischen sich und den Ekeln hätten. Ein Traum für alle Ekel, die endlich auch abends und nachts ihre Mitmenschen nerven können. Für die begleitenden Lehrkräfte die Möglichkeit, neue pädagogische Ideen auszuprobieren. Der einzige Schutz, den ich in dieser Zeit hatte, waren meine Freundinnen, denn zusammen war alles einfacher zu ertragen.

Die glorreiche Idee der Lehrer: Im Speiseraum gibt es eine zufällige Sitzordnung und immer Junge neben Mädchen! Schlimmer geht es kaum – außer, man landet zufällig noch am Tisch von Jessica aus der Parallelklasse. Marke Cheerleader: Laut, sportlich, langes blondes Haar, von allen bewundert, einmal sitzen geblieben und deswegen allen ein Jahr voraus – und immer gern beim Introvertierte Bashen dabei. Auch mit am Tisch: Michael, groß, auch ein Jahr älter (glaube ich) und ebenfalls sehr still. Für mich eine Art Verbündeter, da von ihm nie Gefahr ausgegangen war.

Jessica also gab sich über den Tisch hinweg große Mühe, mich irgendwie in Verlegenheit zu bringen und vorzuführen, lachte laut über mein Hobby reiten („Hahaha, sie reitet gern, uuuh“) und kam schließlich irgendwie auf das Thema Vergewaltigung. „Das wäre für mich das Schlimmste. Und für dich, Debbiiiiieeeeeee?“. Während ich mit glühenden Wangen auf den Teller starre, weil ich aus der BRAVO bislang nur sehr vage Vorstellungen von dem Thema hatte, meldet sich Michael zu Wort: „Haha! Das würd‘ doch sowieso keiner machen“. „Stimmt!“ ruft Jessica und alle lachen – nur eine nicht. Die sich einen kranken Moment lang wünschte, dass sie eine Vergewaltigung wert wäre.

Viel schlimmer als dieser Satz war aber das Wissen, dass Michael ihn nur deswegen gesagt hatte, um cool dazustehen. Eigentlich war er ein netter Typ, der sich nie eingemischt hat. Und ich könnte mir vorstellen, dass es ihm später leid getan hat. Aber hier hatte er, als Außenseiter, den günstigen Moment genutzt, einer anderen Außenseiterin verbal ins Gesicht zu schlagen, um einmal eine Pointe rauszuhauen – wie die sich dabei fühlt, ist ja völlig egal. Wenn ich meine „13 Gründe“ gehabt hätte, dann wäre Michael einer davon gewesen, wegen dieses einen Satzes.

„Tote Mädchen lügen nicht“ ist keine leichte Kost

Du siehst schon – zumindest mir ging die erste Staffel der Serie nahe. Vor 20 Jahren habe ich die Realschule abgeschlossen und die meisten meiner Mitschüler habe ich seitdem nie wieder gesehen, aber durch die Serie fühlt man sich wieder ein wenig zurückversetzt.

Daher will ich auch gar nicht wissen, wie sich jemand fühlt, der gerade jetzt noch Mobbingopfer ist. Wir wissen ja – ein Happy End gibt es nicht, Hannah schneidet sich die Pulsadern auf, das ist von Anfang an klar. Und sie tut es, weil sie sich einfach von allen verlassen und verraten fühlt. Am Ende gleitet sie in der Badewanne sanft in einen Zustand des Vergessens über.

Meiner Meinung nach ist nicht viel von einer positiven Message zu spüren, die anderen Betroffenen mehr Hoffnung machen könnte als Hannah. Daher verstehe ich, dass es weltweit Kritik an „Tote Mädchen lügen nicht“ gab (im Wikipedia-Artikel zur Serie gibt es eine Zusammenfassung zur Kritik und den Gründen dafür).

Trotzdem – ich habe die 13 Folgen der ersten Staffel an wenigen Tagen durchgeschaut. Sie ist spannend, man möchte wissen, wer noch alles Anteil daran hat, dass Hannah keine Perspektiven mehr sieht. Und was die Schüler tun, damit ihr eigener Anteil daran nicht ans Licht kommt. Dass die Ereignisse nach und nach in Rückblenden aufgedeckt werden, verschärft den Spannungsbogen noch – insbesondere, weil manche Schüler schon lange vorher von „den Ereignissen“ auf „der Party“ reden und der Zuschauer schon mehrere Folgen vorher weiß, dass dort was passieren wird. Nur eben nicht, was genau.

Die zahlreichen Rückblenden werden übrigens oft in die Gegenwart übergeblendet (oder umgekehrt) – ein Kameraschwung, aus einer eher blau-grauen Beleuchtung wird ein wärmeres Licht und schon sind wir ein paar Wochen in der Zeit zurückgereist. Das ist ziemlich genial gemacht.

Mein Fazit zur Serie

Ich weiß nicht, wem genau ich „Tote Mädchen lügen nicht“ empfehlen würde. Sie ist spannend, aber vor allem wegen ihrer kritischen Themen für Schüler im High School-Alter. Und vielleicht hat nicht jeder Lust darauf, an die gute alte Schulzeit erinnert zu werden :D

Da ich glaube, dass viele Mobber einfach nicht wissen, was sie eigentlich mit ihren Worten und Taten anrichten, denke ich, dass die Serie einen anderen Zugang dazu schaffen können. Weinende Mädchen sind ihnen egal, aber wenn es eine Serie darüber gibt und dort aus einem weinenden Mädchen ein totes Mädchen wird, dann fällt vielleicht der Groschen. Daher könnte es vielleicht nicht schaden, wenn die Serie oder auch die Buchvorlage in der Schule thematisiert wird.

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