Chernobyl – Serie über das Reaktor-Unglück 1986

Ich war viereinhalb Jahre alt, da gab es einen Moment, an den ich mich dunkel erinnern kann. Meine Mutter war ziemlich aufgelöst und lief im Kreis durch den Windfang unseres Hauses. Draußen sei jetzt alles giftig, sagte sie. Fenster müssen zu, wir dürfen nicht mehr raus, und lauft unter keinen Umständen im Garten über das Gras .

Chernobyl Plakat

Das schlimmste Unglück in der Geschichte der zivilen Nutzung von Kernenergie

Es war 1986, wir lebten in Süddeutschland und die radioaktive Wolke aus dem explodierten Kernkraftwerk in Tschernobyl zog über uns hinweg. Ich kann nur vermuten, was die Erwachsenen damals dachten – ganz sicher bin ich auch nicht, ob meine Erinnerung an die Szene oben überhaupt stimmt, aber ich habe sie zusammen mit Bildern gut vor Augen. Eine Panik-Reaktion erscheint in einer Gesellschaft, die sowieso auf die Bedrohung durch einen Atomkrieg sensibilisiert war und in diesem Moment noch gar nicht ganz genau wusste, was hier los ist, auch nicht so weit hergeholt.

Zwei oder drei Jahre später spielten wir mit den Nachbarskindern auf der Straße noch „Giftiges Gras„: Wie fangen, aber man darf nicht auf Gras treten und der, der die anderen fangen muss, muss sie stattdessen mit Gras bewerfen. So erlebte ein kleines Kind die Katastrophe von Tschernobyl.

Kannst du dich auch an das Ereignis erinnern? Und wie hast du es erlebt? Schreib mir doch in die Kommentare!

Abends erklärte mein Vater mir in einem „Erwachsenengespräch“ auf der Kinderbank im Badezimmer, dass man jetzt einen Berg aus Beton auf das Kraftwerk geschüttet hätte, damit die Hitze nicht mehr raus kann und die Menschen sicher sind. „Und der Beton muss jetzt für immer da bleiben“, sagte er mir. Für immer… das fand ich bemerkenswert. Da muss schon ziemlich was schiefgelaufen sein, dass da nun für immer ganz viel Beton oben drüber ist.

Vorstellung der Serie Chernobyl

Was genau da schiefgelaufen ist und wie die Menschen direkt bei Tschernobyl die Katastrophe erlebten, können wir nun in der fünfteiligen HBO-Miniserie „Chernobyl“ verfolgen, die von Mai bis Juni 2019 ausgestrahlt wurde. Und wenn man im Hinterkopf behält, dass es eine Dramaserie ist und keine Dokumentation, dann kann man daraus wirklich einiges mitnehmen.

Ich kenne natürlich den Wikipedia-Artikel zur Katastrophe von Tschernobyl und hatte den als Vorbereitung für die Serie gelesen, deswegen konnte ich

  • beim Schauen der Serie schon ungefähr beurteilen, was tatsächlich den Tatsachen entspricht (soweit ich es verstehe: Alle wichtigen Punkte in Bezug auf die Hintergründe und den Hergang des Unglücks)
  • endlich Bilder und reale, ziemlich dramatische Szenen mit den nur sehr kurz angerissenen trockenen Sätzen auf Wikipedia verbinden (z.B. „die Leistung des Reaktors fiel weiter ab und er wurde noch weiter in den instabilen Bereich gebracht“)
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Handlungsaufbau der Serie

Die Handlung beginnt mit einer Vorblende: Genau zwei Jahre nach der Explosion des Reaktors erhängt sich ein älterer Mann mit Brille, nachdem er seine Erkenntnisse über den Ablauf und die Schuldigen auf Band gesprochen und die Aufnahme, verborgen vor dem KGB, für andere Wissenschaftler deponiert hat.

Nach diesem kurzen Intro springen wir dann zurück auf den 26. April 1986. Eine junge Frau, Lyudmilla, schlurft nachts von der Toilette kurz in die Küche. Durch ein Fenster im Hintergrund sehen wir ein gutes Stück entfernt, wie dort zwei Explosionen den Himmel erleuchten. Die Frau bemerkt es nicht, erst die kurz darauf eintreffende Druckwelle wirft sie fast um. Entsetzt starrt sie auf das Kraftwerk und einen bläulich glimmenden Strahl, der daraus hervor senkrecht in den Nachthimmel leuchtet.

Szenenwechsel. Wir befinden uns jetzt im Kontrollraum des Kraftwerks. Alarmsysteme tröten penetrant, Staub rieselt von der Decke und Arbeiter rufen herum, unwissend, was genau passiert ist. Es steht fest: Wir sind mitten in die Action eingestiegen. Kein Vorgeplänkel, keine sich anbahnende Katastrophe, sondern Katastrophe jetzt und hier.

Das hat mich auch ein wenig enttäuscht – ich hätte gern das gesamte Vorspiel und das Drama im Kontrollraum mitbekommen. Das alles fehlt allerdings zunächst (keine Sorge, es wird später nachgeliefert!) und wir müssen ohne Vorwissen voller Entsetzen zuschauen, was passiert.

Der Chefingenieur vermutet eine Wasserstoffexplosion in einem Kühltank – mehr kann ja nicht passieren, denn RBMK-Reaktoren können gar nicht explodieren, das ist ja bekannt. So schlimm kann das alles nicht sein. Wir sehen nun, wie Arbeiter durch zerstörte Gänge rennen. Keiner weiß so wirklich, was passiert ist. Die Feuerwehr muss her – Lyudmillas Mann aus dem benachbarten Prypat macht sich bereit. Und wir müssen zuschauen und wissen schon: Verdammt. Das nimmt kein gutes Ende.

Die Geschehnisse werden nun chronologisch entrollt. Geht es zunächst noch darum, überhaupt Herr der Lage zu werden, rücken später die Ermittlungen zu den Ursachen des Unglücks näher in den Mittelpunkt – wobei wir aber auch bis zuletzt Zeugen der Aufräumarbeiten in der Sperrzone um das Kraftwerk bleiben.

Am Ende schließt sich auch der Kreis mit dem Intro und der ersten Szene im Kontrollraum wieder.

Der Kreis schließt sich perfekt

Dabei gibt es in Chernobyl aber keinen abfallenden Spannungsbogen – im Gegenteil! Die Serienmacher spulen die Geschichte absichtlich nicht so ab, dass sich am Anfang einige Zeit die Katastrophe anbahnt, dann passiert sie und danach geht es ums Aufräumen und Sündenbock finden. Nein – im Nachhinein finde ich es sehr gut, dass wir direkt mit der Explosion starten.

Schließlich weiß hier auch noch niemand, was und warum genau es passiert ist. Im Grunde genommen bleibt der Zuschauer zunächst genauso ahnungslos wie die Menschen, die damals tatsächlich mit dem Unglück konfrontiert wurden. Erst nach und nach kommt Licht ins Dunkel, und während wir dann schon wissen, was den Menschen alles bevorsteht, ist es umso dramatischer zu sehen, wie genau sich alles entwickelt hat. Ich konnte dabei tatsächlich kaum atmen, so dramatisch waren die Ereignisse auch am Ende.

Und – ich musste heute nochmal in die erste Chernobyl-Folge reinschauen, da der Kreis sich so perfekt schließt. Mit dem Vorwissen, das wir im Verlauf der Serie gewinnen, ist der abrupte Einstieg nochmal um einiges heftiger, denn wir kennen nun die Gesichter und wissen, was genau passiert ist.

Die Hauptfiguren in Chernobyl

Meistens – aber nicht immer – folgen wir der Handlung aus der Sicht einer der drei Hauptfiguren:

  • Waleri Alexejewitsch Legassow (gespielt von Jared Harris), der tatsächlich Leiter der Ermittlungen nach dem Unfall war und geistesgegenwärtig Entscheidungen trag, um das Unglück einzudämmen (zB, die Stadt Prypjat zu evakuieren)
  • Ulana Khomyuk (gespielt von Emily Watson), fiktive Physikerin, die die Ursachen für die Explosion ermittelt – im Abspann erfahren wir, dass die Figur stellvertretend für ein großes Team einzelner Wissenschaftler steht, die alle dazu beigetragen haben, die Ursachen aufzudecken
  • Lyudmilla Ignatenko (gespielt von Jessie Buckley), tatsächliche Frau des Feuerwehrmanns Vasily Ignatenko, der zu den Einsatzkräften gehörte, die als erstes am Unglücksort waren, das Feuer löschten und dabei derartig heftig verstrahlt wurden, dass sie innerhalb von zwei Wochen starben

Wie authentisch ist die Serie?

Ich habe mich ein wenig informiert und es scheint so zu sein, dass die Ereignisse für eine Serie sehr gut dargestellt werden. Natürlich wurde hier und da noch ein wenig am Erzählbogen gefeilt, aber nichtdestotrotz legten die Macher großen Wert darauf, so nah wie möglich an den realen Ereignissen zu bleiben.

Sie stützen sich dabei nicht nur auf Augenzeugenberichte, sondern – so las ich – fügen sogar wirklich überlieferte Dialoge ein. Auf dieser Seite kannst du (auf englisch) Auszüge aus Berichten von Überlebenden lesen, wie zB. von Lyudmilla. Das wurde in der Serie ziemlich genau übernommen.

Auffällig ist auch, wie ähnlich die Filmrollen den realen Persönlichkeiten sehen und dass auch die Kleidung mit denen auf Fotos derjenigen übereinstimmt. Einige Vergleichsbilder kannst du dir hier anschauen. Die Szenen im Kraftwerk wurden in einem fast baugleichen anderen Kraftwerk in Litauen gedreht und die Stadt Prypjat ist eine andere tatsächliche Stadt, die offenbar Prypjat sehr ähnelt.

Dennoch gibt es auch kritische Stimmen von Überlebenden, die finden, dass „Tschernobyl“ einge der Verantwortlichen als zu unfähig und egoistisch darstellt. Bei einer britisch-amerikanischen Produktion, also ohne russische Beteiligung, muss man auch davon ausgehen, dass da ein paar kritische Seitenhiebe in Richtung sowjetisches Katastrophen-Management ausgeteilt werden.

Letztlich wird in Chernobyl gezeigt, dass vor allem staatliche Geheimhaltung und persönliche Egomanie den Reaktorunfall auslösen. Danach soll konsequentes Leugnen und Kaltstellen von Kritikern dafür sorgen, dass das ganze Ausmaß der Katastrophe nicht an die internationale und auch an die nationale Öffentlichkeit gelangt. Ich kann nicht beurteilen, ob das wirklich in diesem Maße korrekt ist.

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Zusammenfassung und Empfehlung

Was aber wohl den Tatsachen entspricht und in der Serie Chernobyl auch ein zentrales Motiv ist, ist, dass nicht die Atomkraft ein kaum zu beherrschendes blutdürstiges Raubtier ist. Vielmehr wird sehr deutlich, dass menschliche Fehler und eine Verkettung unglücklicher Umstände dazu führen, dass es zur Katastrophe kommt. Das ganze Unglück wäre vermeidbar gewesen.

Aber so ist es ja oft: Erst, wenn Unglücke passieren, gibt es Gutachten und Verbesserungen, damit so etwas nicht wieder passiert. Irgendwas kann allerdings trotz aller Vorkehrungen immer noch passieren – siehe Fukushima.

Apropos Fukushima – vor nicht allzu langer Zeit schauten wir den koreanischen Spielfilm „Pandora“ aus dem Jahre 2016, der das Fukushima-Unglück fiktiv nach Korea verlegt und auf diesen Ereignissen basiert. Leider habe ich keine Rezension dazu geschrieben, aber dieser Film ist auch unbedingt empfehlenswert. Die Bilder sind dabei teilweise sehr ähnlich, wie völlig ahnungslose Feuerwehrleute, die sich aufgrund der Verstrahlung die Seele aus dem Leib kotzen.

Wie dem auch sei. Für Chernobyl spreche ich unbedingt eine deutliche Empfehlung aus. In fünf Folgen, also knapp fünf Stunden, kannst du ein Stück tragische Weltgeschichte erleben und lernst dabei auch einiges über Atomreaktoren und deren Funktionsweise, aber auch über die Gefahren, die sie bergen.

Und wenn du noch immer nicht genug hast, dann lies doch auch das Buch „Blackout“ von Marc Elsberg, in dem es peripher auch um die Problematik geht, Atomreaktoren zu kühlen, wenn es keinen Strom mehr gibt (… kein sehr weit hergeholtes Szenario!).

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