Carnival Row – Von Feen, Faunen und Rassisten

Ein ganzes Volk flieht vor dem Krieg im eigenen Land in eine fremde Stadt und trifft dort auf offene Feindseligkeit. Klingt bekannt? Gut möglich. Allerdings haben diese Fliehenden Flügel, es sind Feen, von denen die Menschen bisher gar nicht wussten, dass sie überhaupt existieren.

Ein freundlicher Tipp meiner lieben früheren Kollegin brachte mich kürzlich auf die neue Amazon-Serie Carnival Row. Ich war schon nach kurzer Zeit in der Fantasy-Welt gefangen und habe die Serie daher auch innerhalb weniger Tage durchgesehen.

Es geht um Feen – aber mit Peter Pan hat die Serie ganz sicher nichts zu tun. Wenn ich sie in wenigen Worten unbedingt mit einem Label versehen müsste, würde ich das so machen: Steampunk-Fantasy mit Krieg, Liebe und Machtintrigen. Carnival Row bringt außerdem extrem aktuelle Bezüge zu den Problemen unserer tatsächlichen Realität.

So ist es erst wenige Wochen her, als der amerikanische Präsident eigenmächtig entschied, die amerikanischen Truppen aus Syrien abzuziehen und damit die verbündeten Kurden ihrem Schicksal zu überlassen. Es ist makaber und schrecklich ironisch, dass genau das auch in Carnival Row passiert und die Serie dadurch überhaupt erst eine Dramatik entwickelt. Was genau passiert? Darum geht es in diesem Beitrag. Spoiler gibt es nicht! :D

Carnival Row
Philo und Vignette auf dem Serienposter

Von Feen, Menschen und Kriegen

Titel: Carnival Row
Erschienen: August 2019
(Amazon Original)
Bisher eine Staffel mit 8 Folgen á rund 60 Minuten

Zu Beginn der ersten Folge bekommen wir in ein paar Sätzen einen kurzen Geschichtsüberblick. Das ist auch nötig, um den Stand der Dinge nachzuvollziehen. Und so sieht es aus: Feenwesen waren lange Zeit nur eine Legende – bis die Menschen den Kontinent Tirnanoc entdeckten. Hier leben Feen, also im Prinzip Menschen mit Libellenflügeln.

Die Feen sind ein friedliches Volk, das mehr Wert auf Kultur, Traditionen und ein Leben in Harmonie mit der Umgebung legt als auf Expansion. Im Gegensatz zu den Menschen. Wie sollte es auch anders sein, wenn eine europäisch geprägte Kultur einen fremden Kontinent findet? Man möchte sich dessen Schätze zu Eigen machen.

Zwei Menschenfraktionen beginnen auf Tirnanoc einen Krieg um die Ressourcen: Die Republik der Burgue und der Pakt. Die Feen stehen doof in der Mitte, immerhin wird der Krieg auf ihrem Boden ausgetragen. Sie halten die Burgue („die Burgue“ kann man vielleicht so verstehen wie „Den Haag“ – auf englisch heißt es „The Burgue“) für das geringere Übel und schließen sich ihr an. So ziehen sie allerdings auch die erbitterte und gnadenlose Feindschaft des Paktes auf sich.

Der Krieg endet sieben Jahre vor Beginn unserer Geschichte, als der Pakt die Oberhand zu gewinnen droht und sich die Burgue infolgedessen aus Tirnanoc zurückzieht. Allein gegen den Pakt haben die Feen keine Chance – viele werden massakriert, und wer kann, der versucht, in die Burgue, die Hauptstadt der Republik, zu fliehen. Und somit immerhin auf einen anderen Kontinent

Was eine bedeutende Flüchtlingswelle nach sich zieht und damit zu einer gesellschaftlichen Spaltung in der Stadt führt – denn nicht jeder ist glücklich über die vielen Fremden mit ihren anderen Bräuchen. Feen etwa dürfen bei Strafe nicht fliegen. Überhaupt gelten in der Burgue nicht-menschliche Rassen als minderwertig und rückständig, sie werden als Critch bezeichnet, ein Schimpfwort, das sich von Creatures, also Kreaturen, ableitet.

Zu nennen sind neben den Feen vor allem Faune – Menschen mit Ziegenhörnern und Hufen, es gibt aber auch Zentauren (Pferde mit menschlichem Oberkörper) und Kobolde (winzige Yoda-artige Wesen, die zB. als Schauspieler in Puppen-Theatern auftreten). Diese Rassen sind im Gegensatz zu den Menschen tatsächlich technisch auf niedrigem Niveau, weil sie ihre Traditionen aufrecht erhalten und kein Interesse an Expansion und Reichtum haben. Ungefähr so wie Tolkiens Elben – edel, langlebig und klug, aber eben keine Industrienation.

Die Burgue ist eine wuselige Stadt, die vielleicht an London zur Zeit der Industrialisierung angelehnt ist. Es gibt überwältigenden Reichtum und eine städtische Elite, es gibt aber auch Bezirke, in denen erbärmliche Armut vorherrscht. Carnival Row ist der berüchtigste dieser Stadtteile: Hier leben vor allem „Critch“, es gibt Bordelle und natürlich Mord und Totschlag.

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Figuren und Handlungsstränge

Hauptstrang ist die Geschichte um Vignette, einer Fee und früher Hüterin einer uralten Feen-Bibliothek, die kürzlich in die Burgue geflohen ist, und Philostrate, einem früheren Soldaten der Burgue, der jetzt, sieben Jahre nach seinem Abzug aus Tirnanoc, als respektierter Inspektor für die städtische Polizei arbeitet.

Vignette (Cara Delevingne) und Philo (Orlando Bloom!) kennen sich aus aus ihrer gemeinsamen Zeit vor sieben Jahren, als sie auf Tirnanoc Widerstand gegen den Pakt leisteten. Was zwischen den beiden passiert ist, erfahren wir im Verlauf der ersten Folgen. Dazu gibt es auch einige Rückblenden in die Zeit des Krieges auf Tirnanoc.

Wir begleiten die beiden auf ihrem unterschiedlichen Lebensweg in der Burgue. Vignette muss als Zofe für eine reiche Dame der Oberklasse arbeiten, und als Inspektor hat Philo einiges zu ermitteln, weil es einige Mordfälle in der Stadt gibt. Abseits davon trägt Philo auch ein Geheimnis mit sich herum, das besser niemand herausbekommen sollte.

Um diesen Handlungsstrang herum gibt es weitere Familien/Fraktionen, die wichtige Teile der Geschichte tragen.

Die Breakspears – Politik und Intrigen

Da wäre zum einen der ehrenwerte Kanzler und damit Vorsitzender des Parlamentes, Absalom Breakspear, gespielt von Jared Harris (bekannt zB. aus Man Men oder Chernobyl). Er vertritt einen flüchtlingsfreundlichen Standpunkt und versucht, härtere Restriktionen für sie zu vermeiden. Sein schärfster Kontrahent ist Ritter Longerbane, Anführer der Opposition.

Breakspears Ehefrau Piety (gespielt von Indira Varma, bekannt aus Rome und Game of Thrones) darf sich als Frau natürlich nicht einmischen, aber sie ist ehrgeizig und versteht es hervorragend, Intrigen für ihre Interessen zu spinnen. Und dafür scheut sie nicht einmal davor zurück, ihre eigene Familie zu gefährden.

Jonah Breakspear ist der Sohn der beiden. Er soll einmal seinem Vater als Kanzler nachfolgen, interessiert sich aber wenig für seine Ausbildung und hält sich lieber in einem Bordell auf der Carnival Row auf.

Mrs. und Mr. Breakspear
Mrs. und Mr. Breakspear in Carnival Row

Die Spurnroses – Der Struggle der Upper Class

Ezra Spurnrose
Ezra Spurnrose – ein wahrer Gentleman

Die Spurnroses sind ein reiches Geschwisterpaar, das von seinem Vater ein großes Haus im noblen Viertel Finisterre Crossing und etwas Geld geerbt hat. Die beiden wissen, wie man sich zu benehmen hat und dass gute Beziehungen innerhalb der Oberschicht das wichtigste Kapital sind. Ezra, der Bruder, hatte allerdings Pech mit seiner letzten Investition.

Mit dem letzten Geld aus dem väterlichen Erbe hatte er ein Schiff gekauft, auf dem Flüchtlinge sich eine teure Überfahrt aus Tirnanoc kaufen können. Leider ist das Schiff mit Mann und Maus in einem Sturm gesunken – nur Vignette, die ebenfalls an Bord war, konnte sich retten. Vignette kommt jetzt als Zimmerzofe zu Imogen Spurnrose, Ezras Schwester. Dort soll sie ihre Passage durch Arbeit abbezahlen.

Imogen, mit 23 Jahren noch immer unverheiratet, ist ziemlich besorgt um die Zukunft der beiden Geschwister, und natürlich um ihre eigene. Sie sucht händeringend nach einem reichen Gentleman, der sie zur Braut machen würde. Wir lernen sie als ziemlich oberflächliche Lady kennen, die all die Vorurteile gegenüber Armen und Andersartigen mitbringt, die man sich vielleicht vorstellen kann.

Umso ärgerlicher ist es dann, als im Nachbarhaus ein schwerreicher Faun, Mr. Agreus, einzieht. Faune dienen sonst üblicherweise nur als Butler, dass einer davon selbst zu Reichtum kam und nun gleichberechtigt mit den Ladys und Gentlemen in Finisterre Cross leben soll, ist undenkbar. Daraus macht sie auch gegenüber ihrer vertrauten faunischen Haushälterin und Vertrauten überhaupt keinen Hehl – natürlich nicht, die ist ja nur eine Angestellte.

Imogen Spurnrose und Mr. Agreus
Mr. Agreus sieht sich bei den Spurnroses um, Imogen ist wenig begeistert

Näher an der Realität als man bei einer Fantasy-Serie meinen sollte

Nachdem du nun Bescheid weißt, um was es in Carnival Row ungefähr geht, lassen wir uns jetzt mal ein wenig tiefer darauf ein. Natürlich ohne Spoiler!

Game of Thrones habe ich vorher schon genannt, weil Indira Varma als Ellaria Sand dort mitgespielt hat. Aber wir können auch weiter dabei bleiben, denn Carnival Row tritt auch in die Fußstapfen dieser kürzlich beendeten Superserie. Es gibt brutal grausame Szenen mit abgeschlachteten Unschuldigen. Es wird geflucht und gevögelt und es gibt Intrigen, Magie und Geheimnisse, die gewiss keine Themen für ein Teekränzchen in einem Salon in Finisterre Cross wären. Auch bei Charakteren und deren Verwicklungen gibt es die eine oder andere Ähnlichkeit.

Dennoch ist Carnival Row sicher kein billiger Klon von Game of Thrones! Die neue Serie ist etwa unserer Realität deutlich näher. Während es in Game of Thrones mehr um Macht und Dynastien geht, ist in Carnival Row das vorherrschende Thema die gesellschaftliche Spaltung. Zwischen Menschen und Nicht-Menschen, aber auch zwischen Arm und Reich.

Konfliktthema mit großer Sprengkraft ist der Umgang mit den Flüchtlingen aus Tirnanoc. Die Parallelen zur Flüchtlingskrise vor wenigen Jahren sind nicht zu übersehen und ich finde es gut, dass das Thema auf diese Weise Eingang in eine Unterhaltungsserie gefunden hat. Ich glaube, selbst der härteste AFDler könnte sich hier nicht ernsthaft auf die Seite der Rassisten stellen, nachdem wir als Zuschauer doch Krieg und Vertreibung am Beispiel zweier Hauptfiguren miterlebt haben.

Bei den Spurnroses ist interessant, dass der Rassismus hier überhaupt nichts mit der Hautfarbe zu tun hat. Farbige Angehörige der Oberschicht sind hier nichts Besonderes, was interessant ist, denn in der Realität wurden Farbige lange genauso behandelt wie die „Critch“ in Carnival Row. Als Bedienstete und günstige Arbeitskräfte ok, aber keinesfalls akzeptabel als Mitglied der höheren Gesellschaft.

Die Serie hält uns also in vielen Fällen den Spiegel vor.

Eine Parallelwelt – fast wie unsere

Die Burgue könnte London sein – aber nur fast. Es ist eher eine Parallelwelt, die unserer aber tatsächlich sehr ähnlich ist. Das sieht man auch schön an der hin und wieder auftauchenden Religion in der Serie: Die Menschen glauben hier an „den Märtyrer“, der ähnlich wie der gekreuzigte Jesus, nur hier an einem Galgen hängend, als Symbol gezeigt wird. Priester tragen entsprechend einen Galgenstrick um den Hals, um ihren Dienst am Märtyrer zu zeigen.

Schön sind auch die Parallelen zwischen der Gesellschaft in Carnival Row und unserer eigenen. Erst die europäische Expansion, dann schleppt man Beute aus den eroberten Ländern mit heim und stellt sie in einem Museum aus, aber mit den Folgen der Intervention in andere Länder will man dann nichts zu tun haben. Genau das haben wir in Carnival Row auch. Das Parlament erinnert übrigens schwer an das britische Unterhaus… oder an den römischen Senat :D Die ganze Carnival-Row-Welt wirkt einfach merkwürdig fremd-nah.

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Oder die Darstellung von bürokratischen Hürden. Der Betreiber eines mobilen Koboldtheaters soll nachweisen, dass er eine Lizenz für das Theater hat. Hat er. Dann soll er die Aufenthaltsgenehmigungen für die Kobolde vorlegen, da es ja quasi Ausländer sind. Das kann er nicht und den Kobolden droht daraufhin die Abschiebung. Dann gelingt es ihm, seine Kobolde als Gegenstände seines persönlichen Besitzes zu deklarieren. Daraufhin wird er jedoch wegen des unerlaubten Transportes von Haustieren belangt. Irgendwas findet man schließlich immer.

Philostrate auf der Carnival Row
Philostrate sorgt für Gerechtigkeit auf der Carnival Row

Fazit und Empfehlung

Die Dichte der Welt hat mich insgesamt begeistert. Gut, bisher gab es nur acht Folgen und die Handlung konzentriert sich größtenteils nur auf eine Stadt, so dass vieles noch im Dunkeln liegt. Aber dennoch, das Setting wächst einem schnell ans Herz und man möchte mehr davon sehen. Da fahren schwere Dampfloks auf Hochschienen durch die Stadt. Auf den Straßen herrscht Gewusel, während Miss Imogen Spurnrose beim Teetrinken keck den kleinen Finger ihrer behandschuhten Hand abspreizt.

Bei der Darstellung des Stadtgewusels und verschiedener Stände innerhalb der Stadt drängt sich auch der Vergleich mit der Serie Rome, oben schon verlinkt, auf. Dort werden auch die Schicksale von Familien unterschiedlicher Stände beleuchtet und es geht um Politik und Machtkämpfe. Interessant, dass Indira Varma in allen drei Serien dabei ist :D

Bis jetzt jedenfalls gibt es nur eine Staffel, aber die Arbeiten an Staffel 2 haben bereits begonnen.

Wer auf Serien wie Game of Thrones und Rome steht, der sollte sich Carnival Row also unbedingt mal anschauen!

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