[Fermi-Paradoxon] Sind wir vielleicht doch allein in der Milchstraße?

Es ist mal wieder Zeit, über das Fermi-Paradoxon zu sprechen! Vor zwei Wochen erschien die Arbeit „Dissolving the Fermi Paradox“ (Auflösung des Fermi-Paradoxons) von Wissenschaftlern der Oxford University. Das Ergebnis ist: Sie schätzen die Wahrscheinlichkeit hoch ein, dass die Menschheit in unserer Galaxie möglicherweise die einzige höher entwickelte Zivilisation ist.

Sind wir allein im Universum?

Über Jahrhunderte erzählte uns die Kirche, dass allein der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde und dass sich das ganze Universumum die Erde dreht. Nachdem der Humanismus diese Ansichten glücklicherweise widerlegte, mussten wir uns auf einmal damit auseinandersetzen, dass wir vielleicht doch gar nicht so ausgewählt sind und es auf der unüberschaubar riesigen Anzahl an bewohnbaren Planeten auch andere Zivilisationen geben könnte. Und dass das sogar wahrscheinlich ist. Daraufhin entstand das Fermi-Paradoxon.

Eine der vielen möglichen Lösungen für das Paradoxon wäre, dass es eigentlich gar kein Paradoxon gibt. Schließlich basiert das ganze auf der Annahme, dass es theoretisch unzählige Zivilisationen allein in unserer Galaxie geben müsste. Das klingt ziemlich spekulativ, oder? Genau. Und wieso kommt man überhaupt zu dieser Annahme?

Die Drake-Formel soll Antworten liefern

Die Annahme ist das Ergebnis der sogenannten Drake-Formel, benannt nach dem Astrophysiker Frank Drake, der sie in den 1960er Jahren vorgestellt hat. Drake hat sich diese Formel ausgedacht:

N = R* ∗ fp∗ ne∗ fl∗ fi∗ fc∗ L

Eigentlich nicht so kompliziert. N ist die Anzahl der außerirdischen Zivilisationen in der Milchstraße, die technisch in der Lage wären, mit uns zu kommunizieren – und das auch tun wollten (wie auch immer diese Kommunikation aussähe über die riesigen Entfernungen in der Galaxie). Nun musst du nur noch Werte für die Variablen einsetzen, und schon hast du das Ergebnis.

Zu viele Variablen verderben den Brei!

Aber da fangen die Probleme schon an – denn viele Variablen sind unbekannt. Gehen wir das doch mal kurz durch. Eigentlich könnte man über jeden einzelnen viel Punkt schreiben, aber das lassen wir an dieser Stelle lieber.

  • R* = Die Entstehungsrate von Sternen pro Jahr, die die Entwicklung von intelligentem Leben zulassen: Ein Stern muss zB. ein gewisses Alter erreichen können, und es sollte ein „einfacher“ Stern sein und kein Doppel- oder Dreifachsternsystem (das wäre zu instabil für die Entwicklung von Leben). -> Diese Variable ist recht klar
  • fp = Der Anteil dieser Sterne mit Planeten -> Auch das kann man durch Beobachtungen hochrechnen
  • ne = Der Anteil der Planeten pro Sternensystem, die bewohnbar sind bzw. sich für Leben eignen (nicht zu kalt, nicht zu warm, Wasser in flüssiger Form vorhanden) -> Auch hier sind die Angaben halbwegs genau
  • fl = Der Anteil an bewohnbaren Planeten, auf denen tatsächlich Leben existiert -> sehr schwer einzuschätzen
  • fi = Der Anteil an Planeten mit intelligentem Leben (also nicht nur irgendwelche Mikroben) -> noch schwieriger einzuschätzen
  • fc = Der Anteil an Zivilisationen, die sich auf einem technologischen Level befinden, mit dem sie nach außen auf sich aufmerksam machen können und die das auch tun (bspw. Funksignale) -> pure Spekulation
  • L = Die „Lebensspanne“ einer solchen Zivilisation (wir sind vielleicht gerade mal 100 Jahre auf dem gesuchten technologischen Level und könnten uns schon bald selbst in die Luft gejagt haben – also vielleicht eine sehr kurze Lebensspanne) -> pure Spekulation

Während die ersten drei Variablen noch ganz gut aufgelöst und plausible Werte in die Formel eingesetzt werden können, wird es danach wesentlich schwieriger. Die Formel arbeitet mit durchschnittlichen Werten, also Statistiken. Wenn es aber um die Entstehung von Leben außerhalb der Erde geht, gibt es keine Statistiken und Durchschnittswerte. Die Zahl aller uns bekannten Planeten, auf denen sich ganz sicher Leben entwickelt hat, beträgt genau 1: Die Erde.

Das Sonnensystem
Unser Sonnensystem mit neun acht Planeten sowie zahlreichen Kleinplaneten und Monden © mode_list/stock.adobe.com

Wir brauchen mehr Daten

Wir wissen: Grundsätzlich kann Leben sich entwickeln. Bei uns auf der Erde hat es schließlich erwiesenermaßen geklappt (falls wir nicht nur eine Simulation sind). Für uns war das gefühlt keine große Leistung – man könnte geneigt sein zu sagen: Wenn das auf der Erde ging, dann kann die Entwicklung von Leben so schwierig ja nicht sein, oder?

Das Problem ist: Wir wissen es nicht. War die von der ersten Mikrobe in der Ursuppe in Gang gesetzte Evolution schon eine unfassbar unwahrscheinliche Ausnahme, die nur extremst selten auftritt? Oder passiert das auf durchschnittlich jedem x. von uns als „bewohnbar“ klassifizierten Planeten? Und für welche Art von Leben überhaupt bewohnbar? Hier sind wir schon ganz tief in den Fragen der Astrobiologie.

Wir können jedenfalls von einem einzigen Beispiel für Evolution (= wir selbst) nicht darauf schließen, ob das die Norm oder die Ausnahme ist. Nur ein einziges Exemplar ist bei einer Untersuchung eben nicht repräsentativ. Aussagen über Wahrscheinlichkeiten sind umso sicherer, je größer die Datenbasis ist. Und die ist hier eben … winzig.

Aussagekraft der Drake-Formel

Je nachdem, welche Daten man in die Drake-Formel einsetzt, erhält man völlig unterschiedliche Ergebnisse für die Frage nach der Anzahl intelligenter, technisch fortgeschrittener Zivilisationen in der Galaxie.

Ganz sicher können wir nur sagen, dass die Zahl mindestens 1 beträgt. Alles darüber hinaus sind zurückhaltende, optimistische oder sogar enthusiastische Schätzungen. Mein oben verlinkter Text zum Fermi-Paradoxon (den ich nur übersetzt und nicht selbst recherchiert habe) kommt auf eine Zahl von 100.000 intelligenten Zivilisationen in unserer Galaxie. Zugrunde liegt die Schätzung, dass sich auf durchschnittlich 1 % aller erdähnlichen Planeten intelligentes Leben entwickelt.

Es ist sogar schon schwierig zu beurteilen, ob das nun eine zurückhaltende oder enthusiastische Schätzung ist – aber je optimistischer die Schätzung, desto drängender stellt das Fermi-Paradoxon die Frage, wo die anderen dann alle sind. Und wenn wir die Zahl von einem Prozent noch weiter verkleinern, bleiben immer noch hunderte oder zumindest zig Zivilisationen übrig.

Okay, man könnte nun schmerzfrei sagen, gut – dann passierte es eben nur einmal, so what? Aber das ist eben kaum vorstellbar. Je höher die Basiszahl (Anzahl Planeten), desto größer ist damit auch die Zahl der zufälligen Veränderungen (z.B. dass sich Leben entwickelt). Genau so funktioniert ja auch die Evolution: Extrem unwahrscheinliche Genmutationen führten über Milliarden Jahre dazu, dass sich aus einfachen Einzellern äußerst komplexes Leben entwickelte.

Artist's impression of the Milky Way (updated - annotated)
Die Milchstraße. Wir befinden uns in einem entlegenen Seitenarm im Zentrum der aufeinander zulaufenden Linien. Die konzentrischen Kreise sind im Abstand von 5.000 Lichtjahren (!) eingezeichnet – die allermeisten Sterne, die wir mit bloßem Auge einzeln erkennen können, befinden sich in einem Radius von weniger als 1.000 Lichtjahren um uns herum (mehr dazu hier). Bildquelle: Wikipedia.

Die neue Studie: Schätzungen und Wahrscheinlichkeiten

Der Aufsatz von Andy Sandberg und Kollegen befasst sich nochmal mit der Drake-Formel und den einzusetzenden Variablen. Ihnen stehen natürlich die gleichen Zahlen und Kenntnisse zur Verfügung wie allen anderen Wissenschaftlern auch. Die Studie liefert also keinen Beweis dafür, dass wir allein sind (oder eben nicht). Sie berechnet nur Wahrscheinlichkeiten.

Normalerweise befassen sich Wissenschaftler mit der Drake-Formel und setzen feste Werte ein, die sie für wahrscheinlich halten. Dann kommt eben irgendein Ergebnis raus, von dem wir aber nicht wissen, ob es stimmt.

In der neuen Studie gingen die Forscher aber anders vor: Sie haben bewusst von-bis-Werte eingesetzt, um keine feste Zahl, sondern Wahrscheinlichkeiten als Ergebnis zu bekommen.

Das Resultat war nun dies: Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir allein in der Galaxie sind – gleichzeitig ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass es viele andere Zivilisationen gibt. … Paradox, oder? Eigentlich ist das Ergebnis aber auch ohne die Mathematik dahinter schon logisch, wenn man weiß, wie unsicher die Drake-Formel-Resultate sind.

Grund genug für ein Schundblatt, eine völlig falsche und irreführende Schlagzeile daraus zu machen:

Clickbait-Schlagzeile
Mit dieser ganz und gar irreführenden Clickbait-Schlagzeile bewarb ein offenbar unseriöses Portal den „ERSCHRECKENDEN Fund“

Der Unterschied zu anderen Aufsätzen zu diesem Thema ist eben nicht die Aussage, es gäbe x Zivilisationen da draußen (wenn x sehr gering ist, dann kann der Optimist noch immer sagen, dass das aber kein Beweis ist und es viel mehr sein können). Sondern die Aussage, die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass wir allein sind.

[…] we find a substantial probability that we are alone in our galaxy, and perhaps even in our observable universe (53%–99.6% and 39%–85% respectively). ’Where are they?’ — probably extremely far away, and quite possibly beyond the cosmological horizon and forever unreachable.

Dissolving the Fermi Paradox, S. 16

Übersetzung: Wir haben herausgefunden, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass wir in unserer Galaxie alleine sind (53%–99.6%), und vielleicht sogar im gesamten beobachtbaren Universum (39%–85%). „Wo sind sie?“ [die berühmte Kernfrage des Fermi-Paradoxons] – vielleicht extrem weit weg und ziemlich sicher jenseits des kosmischen Horizontes und damit für immer unerreichbar.

Und was bedeutet das nun?

Erstmal gar nichts. Die Studie liefert schließlich keine Beweise und schon gar keinen „ERSCHRECKENDEN Fund“.

Mir ist aber mein Weltbild um die Ohren geflogen. Außerirdische Zivilisationen? Na klar! Es gibt so unendlich viel „Planeten-Potential“, dass es einfach nicht sein kann, dass wir allein sind. Für das Fermi-Paradoxon gibt es schließlich auch viele andere Erklärungen (nicht alle sind für uns von Vorteil..)! Insgeheim war ich mir sicher, dass es da draußen eine Art Star Trek-Föderation gibt, ein Zusammenschluss alter und weiser Zivilisationen, die alle Probleme gelöst haben. Sie könnten uns an der Hand nehmen und uns helfen, besser zu werden. Wir kindliche Zivilisation, die wir in einem rund 14 Milliarden Jahre alten Universum erst seit 120 Jahren Flugmaschinen kontrollieren und Sprache per Funk übertragen.

Klar, die Entfernungen innerhalb der Milchstraße sind riesig, und mir ist klar, das ein Kontakt zu unseren Lebzeiten extrem unwahrscheinlich ist, aber trotzdem – es muss einfach „mehr“ geben! Und irgendwann werden wir den Schritt schaffen können, die Entfernungen zu überwinden und in die große Gemeinschaft einzutreten. – Ich sehe selbst, dass das eine Art Messiasglaube ist (irgendwann kommt irgendwer und macht alles besser). Und ich weiß, dass ich das glaube, weil ich es glauben will :D

Wolken, Erde und Mond
Sollte nur dieser schöne, eine Planet in der ganzen Galaxie intelligentes Leben tragen? © Andrey Armyagov/stock.adobe.com

Die Vorstellung, dass wir unperfekten, unreifen, selbst- und streitsüchtigen, Umwelt-zerstörenden, ungerechten, grausamen, Kommerz-geprägten Menschen das beste sind, was unsere Galaxie an intelligentem Leben hervorgebracht hat, lässt mich vor Panik ein wenig zittern. Ich mag mir einfach nicht vorstellen, dass die vielen hundert Jahrmillionen der Evolution, die aus uns so faszinierende Wesen gemacht hat, zu nichts anderem als Clickbait, Werbung, Geld- und Machtgeilheit sowie natürlich zu ständigen Kriegen und Unterdrückungen geführt hat.

Aber zum Glück ist auch eine Wahrscheinlichkeit nur eine Wahrscheinlichkeit und kein Fakt. Und mir ist die Vorstellung von zwar quasi unerreichbaren, aber irgendwo vorhandenen weisen Außerirdischen lieber als die, dass es außer auf der Erde kein intelligentes Leben in der Milchstraße gibt.

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