Dieses Buch bietet mit Fokus auf das römische Straßensystem einen sehr interessanten, reich bebilderten Einstieg in die Geschichte der Übergangszeit zwischen Römischem Reich und Mittelalter. Hier habe ich selbst sehr viel praktisches Wissen sowohl über die Zeitepoche, als auch über die Spurensuche im Gelände gelernt :D
Untertitel: Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina
Seitenzahl: 177 + 24 Seiten Anmerkungen (Endnoten)
Erstausgabe: 2011
Endlich rezensiere ich mal ganz bewusst ein Sachbuch! :D Und natürlich geht es um Straßen, um römische Straßen, um genau zu sein. Dieses Buch von Arnold Esch, seines Zeichens Archäologe und Professor für Mittelalterliche Geschichte, bietet jedem, der sich „für die Römer“ und deren Hinterlassenschaften interessiert, einen spannenden Einstieg.
Und auch, wer bereits über ordentliches Vorwissen verfügt, lernt hier noch Neues, denn Esch zieht sein Buch über die römischen Sprachen sehr praktisch auf. Er bringt zahlreiche Farbfotos und zeigt viele Beispiele, die sich zumindest ansatzweise auch auf unsere Region nördlich der Alpen übertragen lassen. Immerhin befinden sich auch im Süden und Westen Deutschlands einige römische Straßenreste (auf der interaktiven Karte von omnes viae kannst du dir das anschauen).
Aber starten wir von vorn.
Wer ist Arnold Esch und was kann er uns bieten?
Arnold Esch hat selbst zusammen mit seiner Frau fünf römische Straßen in Italien abgelaufen. Und das ist eine reife Leistung, denn diese Straßen zogen sich häufig über mehrere 100 Kilometer durch die Landschaft. Jedenfalls konnte er auf seinen Fernwanderungen sehr viele Erfahrungen zum Erscheinungsbild von Überresten römischer Straßen sammeln und brachte auch viel Bildmaterial mit. Von diesen Erfahrungen können wir als Leser ungemein profitieren, zeigen sie doch unter anderem, wie man alte römische Straßentrassen im Gelände erkennen kann!
Als Professor und emeritierter, langjähriger Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom bringt Esch auch jede Menge Sachkenntnis mit, so dass man das Buch durchaus – auch wegen der vielen Fußnoten und Literaturhinweise – als wissenschaftlichen Beleg anführen kann. Dabei ist „Zwischen Antike und Mittelalter“ aber kein trockenes geschichtswissenschaftliches Fachbuch mit unverständlichen Formulierungen und irgendwelchen relativen Chronologien, sondern eher ein reich bebilderter archäologischer Führer mit tiefgreifenden Informationen zu einer eher „dunklen“ Geschichtsepoche – beides zusammen macht Lust darauf, selbst die Stiefel zu schnüren und Italien per pedes zu erkunden!
Warum die Zeitepoche „zwischen Antike und Mittelalter“?
Diese Zeit ist sehr interessant – so interessant, dass ich eigentlich meine Masterarbeit darüber schreiben wollte (am Ende wurden es dann eben doch „nur“ die Straßen :D).
Rein praktisch gesehen gehen wir immer davon aus, dass langfristig gesehen alles immer besser wird. Bessere Technik, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Komfort, bessere Gehälter. Aber stell‘ dir nun irgendeine schleichende Katastrophe vor, so dass all der Komfort und die vielen Errungenschaften in Architektur und Technik einfach langsam verschwinden. Die Bevölkerung schrumpft, Recht und Ordnung lösen sich auf, Städte werden zu Geisterstädten, Gebäude verfallen und wachsen zu. Krasse Vorstellung, oder?
Genau das ist aber am Ende der Antike passiert – deswegen ist es das Ende der Antike :D Um 476 n. Chr. wurde Romulus Augustulus, der letzte weströmische Kaiser, getötet und weitere Kaiser gab es danach nicht. Erst Karl der Große stellte sich 800 n. Chr. in die römischen Fußstapfen und ließ sich in Rom zum Kaiser krönen. Allerdings war Karl nicht mal des Schreibens mächtig.
Zur Glanzzeit der römischen Epoche konnte das fast jeder, und außerdem hatten sie Aquädukte, die Thermen und Brunnen mit klarem Wasser belieferten, mehrstöckige Brücken, Fußbodenheizungen und eine größtenteils effiziente Verwaltung, die ein gesamteuropäisches Reich administrieren konnte. Für diese Verwaltung war das gut ausgebaute römische Straßennetz für die schnelle Nachrichtenübermittlung von essentieller Bedeutung.
Na, jedenfalls verschwanden mit der römischen Herrschaft viele der Errungenschaften aus der Antike. Bei uns nördlich der Alpen sogar noch wesentlich gründlicher als in Italien, wo sich zumindest in den Städten ein Grundwissen erhalten hat. Die Ursache für das Ende des Römischen Reiches war kein einzelnes Ereignis, sondern ein schleichender Prozess, der sich über viele Generationen hingezogen hat. Deswegen war die Umstellung für einzelne Menschen gar nicht so deutlich, sondern eher so eine Sache von Erzählungen: „Zu Opas Zeiten ritten hier noch viel öfter Boten des Kaisers durch! Und ab und zu wurde die Straße repariert, ja, damals war sie noch gut befahrbar, stell dir das vor!“
Stoff, aus dem tolle postapokalyptische Geschichten gemacht sind <3 Deswegen ist diese Epoche so spannend: Eine langsame Rückbildung von Strukturen. Und das sieht man natürlich unter anderem an den Überresten der Straßen und der Bauwerke am Straßenrand.
Aufbau des Buches
Wie am Untertitel schon zu sehen ist, hat Esch das Buch zweigeteilt aufgebaut:
- Der erste Teil behandelt den Verfall des römischen Straßensystems nach dem Ende der römischen Ära ab dem 5. Jahrhundert nach Christus
- Im zweiten Teil geht es ganz konkret um die Via Amerina, eine römische Straße aus dem 3. Jahrhundert v. Chr., die über 136 km (Luftlinie!) von Perugia nach Rom verlief
Über den Verfall der römischen Straßen
Dieser erste Teil des Buches ist ein wenig theoretischer als der zweite Teil, weil Esch hier viel über den Niedergang der römischen Kultur und Lebensweise berichtet. Er beschreibt sozusagen den langsamen Verfall, und was das für die Menschen entlang der Straßen bedeutete. Und für die Straßen selbst, denn die begannen sich teilweise zu verlagern: Neue städtische Zentren mit neuen Prioritäten entstanden – denken wir z.B. nur an die vermehrte Ausbreitung der christlichen Religion, die Klöster und Pilgerstätten mit sich brachte. Über den veränderten Verlauf von Straßen zwischen Antike und Mittelalter habe ich selbst schon einen Beitrag geschrieben (und dafür u.a. Eschs Buch als Literatur genutzt).
Esch geht z.B. darauf ein, wie lange Straßen überhaupt noch instand gehalten wurden, bzw. ab wann sie sich selbst überlassen wurden und wohin manche der tausenden Meilensteinen entlang der Straße verschwanden. Er zeigt auch, ob und wie die alten Straßen im Laufe der Zeit weiterhin genutzt wurden und dass z.B. manche der Straßennamen sich im Bewusstsein der Menschen erhalten haben. Viele Straßenabschnitte wurden völlig unbenutzbar, weil die Pflastersteine sich zu sehr verschoben – blieben dadurch als höherer Wall aber deutlich im Gelände sichtbar und wurden so zu buschbewachsenen, oft schnurgeraden Grenzen zwischen Ländereien. Andere Abschnitte wurden stellenweise weiterhin genutzt, wenn die Menschen dadurch einen Vorteil hatten – und diese „Nachnutzung“ ist an vielen Stellen noch zu sehen.
Das alles unterfüttert Esch mit vielen Fallbeispielen und historischen Quellenbelegen, mit Karten und sehr vielen Fotos. Die Fotos zeigen beispielsweise halb vergrabene Straßenblöcke oder tief eingefahrene Karrengeleise (Spuren der Fahrzeuge) in den Straßensteinen. Durch die Bilder können wir unser Auge schulen und lernen selbst, die „verräterischen Anzeichen“ für eine römische Straße im Gelände zu lesen. In Deutschland ist das nur leider nicht so einfach, da hier die römischen Straßen in der Regel nicht gepflastert waren.
Über die Via Amerina
Obwohl es auch im ersten Teil des Buchs sehr viele Beispiele aus der Praxis gibt, ist der zweite Teil durch die Ausrichtung auf eine einzige Straße natürlich noch praktischer angelegt. Esch beschreibt hier sozusagen den Weg von Assisi in Umbrien über die Via Amerina bis nach Rom. Ein richtiger Wanderführer (mit Gastronomie und Unterkunft) ist das allerdings nicht, Esch beschränkt sich tatsächlich auf die archäologischen Überreste der Straße und anliegender Gebäude. (Einen schönen Wanderbericht von einem anderen Autor gibt es aber online auf Urlaubsguru)
Dabei erläutert er hier nochmal genau, was der Wandel von Antike zum Mittelalter für diese spezielle Straße bedeutet hat. Dabei erklärt er aber auch, wo die Straße überhaupt noch begehbar ist und wo nicht. Auch auf Spolien geht Esch ein, also wo einzelne Bestandteile der Straße, d.h. Pflastersteine oder Meilensteine, im Mittelalter eine neue Verwendung gefunden haben.
Während der erste Teil von „Zwischen Antike und Mittelalter“ mehr historisch geprägt ist und schriftliche Quellen einbezieht, ist der zweite Teil archäologischer ausgerichtet. Wir bekommen so einen schönen Einblick in die „archäologische Landschaft“ in den ländlichen Gebieten Mittelitaliens.
Zwischen Antike und Mittelalter – Wertung
Ich kann das Buch unbedingt jedem empfehlen, der sich irgendwie für die Übergangszeit zwischen Antike und Mittelalter interessiert. Durch die praktische Ausrichtung ist das Buch sehr gut lesbar und zudem wirklich lehrreich, und die zugehörige Theorie zeigt anschaulich, wie sich aus den Ruinen des Römischen Reiches und den neuen Einflüssen des Mittelalters unsere heutige europäische Kultur gebildet hat.
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