Details zum Buch
Untertitel: Aufzeichnungen eines Arztes aus den Jahren 1945-1947
Erstauflage: April 1967 / Niedergeschrieben 1947
Seitenanzahl: 286 Seiten + Gebietskarte im Anhang
Erstmals gelesen Dezember 2009, dann wieder April 2013
Review online seit 4.01.2010
Ostpreußen am Ende des 2. Weltkriegs – in der Ferne hört man schon die Artillerie und eine Unruhe macht sich breit. Was, wenn die Russen kommen? Es ist kein Spoiler, wenn ich sage, dass die Russen wirklich kamen. Dieses Buch schildert die Ankunft der Russen, das Ende des Krieges und die Monate danach aus Sicht des Autors, der dabei gewesen ist. Es ist im Grunde in Tagebuchform geschrieben und schockiert durch den Gewaltausbruch, den die Menschen während des Krieges erlebt haben..
Inhalt. Es handelt sich um eine Sammlung von Tagebucheinträgen und im Jahre 1947 niedergeschriebene Erinnerungen des Autors, der die Eroberung Ostpreußens durch die Russen mit- und überlebte.
Der Autor stammt aus Ostpreußen und war studierter Arzt und Chirurg. Dieses Buch erzählt von seinen Erlebnissen in verschiedenen Etappen – beginnend mit den bedrückenden Erlebnissen der letzten Kriegswochen vor der Einnahme Königsbergs durch die Rote Armee und der folgenden Plünderungen und Gewaltexzesse. Es folgt eine Verschleppung durch die russischen Besatzer sowie die Flucht des Autors und später seine Internierung in einem Gefangenenlager. In dieser Zeit erlebte er katastrophale und unmenschliche Zustände, bis sich die Lage ab 1946 wieder bessert, als der Autor Bekannte und Verwandte wiedertrifft und man beginnt, sich mit den Besatzern zu arrangieren und sein Leben wiederaufzubauen, auch wenn die ständige Angst vor den Besatzern sowie die Unterdrückung stetig vorhanden sind.
Kritik. Ich bekam dieses Buch 2009 von meiner Tante zu Weihnachten. Sie hatte das Buch ebenfalls gelesen, auf Empfehlung ihrer Mutter, meiner Oma, die ebenfalls zu den Millionen Flüchtlingen gehört hatte, die zu Kriegsende Ostpreußen den Rücken zukehrten.
Das Buch ist nicht in Romanform geschrieben, das heisst es ist nicht dazu da, um den Leser auf möglichst spannende oder rührende Weise zu unterhalten. In großen Teilen werden wirklich tageweise die Erlebnisse beschrieben oder kurz erwähnt, während andererseits wieder Wochen und Monate vom Autor als Erinnerungen zusammengefasst werden.
Was der Autor in kurzen Sätzen beschreibt, ist weder wertend noch Sympathie heischend, sondern man liest einfach nur seine Erlebnisse, und das auf eine neutrale Art geschrieben, die noch hervorhebt, wie schrecklich das Erlebte wirklich war. Der Autor schreibt, wie sein Umfeld getötet und vergewaltigt wird, wie tausende von Ruhrkranken um ihn herum sterben und er selbst am Rande des Zusammenbruchs und Verhungerns ist, ohne dabei irgendwie anklagend zu wirken. Dieser „neutrale“ Schreibstil hebt noch mehr hervor, wie abgestumpft die Menschen gegenüber den schlimmsten Tragödien geworden waren.
Erst hielt ich Vieles noch für übertrieben dargestellt, zB. dass die Besatzungstruppen als größere Bestien dargestellt werden als sie tatsächlich waren, doch als ich mich mit meiner Tante über das Buch unterhielt, meinte sie, dass meine Oma, die manche Erfahrungen ebenfalls gemacht hatte und zu dieser Zeit ja auch tatsächlich dabei war, einfach nur dazu gesagt hätte: „Es war so.“ Erschreckend.
Dafür, dass der Autor sich an die Wahrheit hält, spricht auch, dass er selbst Schuld auf sich geladen hat – vor allem anfangs zieht er sich oftmals zurück, wenn der stattdessen die Gelegenheit hätte, seine Mitmenschen zu schützen. Diese Schuld gesteht er sich selbst auch ein.
Die erste Hälfte des Buchs hab ich in einem Rutsch gelesen und brauchte danach einige Zeit, um wieder in die Gegenwart zurückzukommen. Mich packte wirklich das nackte Grauen.
Der Schreibstil des Autors ist durchweg angenehm und intelligent. Bei manchen Ausdrücken und Satzwendungen musste ich sogar schmunzeln.
Der Schmunzeleffekt trat auch sonst hin und wieder auf – vor allem gegen Ende, als die Lage sich langsam bessert. Meistens wenn der Autor auf seine nicht wertende Art über die Ignoranz der russischen Besatzer schreibt – zB. der nebenbei eingeworfene Satz, dass die Russen mal wieder mit Handgranaten im See angeln, und ein paar Seiten später ein Waldbrand erwähnt wird, der durch die Russen ausgelöst wurde, als sie „die explodierten Fische auch gleich am Lagerfeuer gegessen haben“.
Wertung.
Für Interessierte am Thema Krieg und Nachkriegszeit definitiv empfehlenswert. Ein erschreckendes Zeugnis von Situationen, die für die Nachkriegsgenerationen einfach unvorstellbar sind.
Nachtrag Mai 2013. Habe im April dieses Buch nochmal gelesen, dadurch angeregt, dass ich mit meiner Tante in Braunschweig ziemlich viel über ihre Mutter/meine Oma gesprochen habe, die damals ebenfalls aus Ostpreußen geflohen ist. Auch beim zweiten Mal war es sehr bewegend und eigentlich kaum vorstellbar, wie es ist, solche Erlebnisse zu haben und zu verarbeiten. Alles was man kennt liegt in Trümmern, nichts wird jemals wieder werden wie es war, so viele Familienmitglieder tot.. Man muss sowas lesen, um sich vor Augen zu halten, wie gut wir es haben.
Ostpreußisches Tagebuch – Zitat
«Dienstag, den 3. April
Schon früh am Morgen ist es mir wegen des stärkeren Artilleriebeschusses in meinem Zimmer im zweiten Stock recht ungemütlich geworden, obgleich ich mir ausgerechnet habe, dass auf direktem Wege eigentlich gar nicht hineinzutreffen ist. Meine Siebensachen habe ich fast alle mit hinuntergenommen und im Raum neben dem Operationssaal untergebracht. Eine Stunde später, als wir gerade beim Operieren sind, prasselt eine Ladung kleiner Bomben auf uns herunter. Teile der Hauswand lösen sich von den oberen Etagen der alten hohen Ziegelkästem und krachen zu Boden. Im Operationssaal sind wir gut geschützt und empfinden die Einschläge kaum. Kurz darauf kommt jemand herein und empfiehlt mir, gelegentlich einmal einen Blick auf die gegenüberliegende Hauswand zu werfen. Ich laufe vor die Tür und sehe im zweiten Stock ein großes Loch. Die einzige Bombe, die das Haus von der Seite getroffen hat, ist in mein Fenster gegangen und hat ein rundes Loch aus der Mauer gerissen. Oben sind nur noch Trümmer, die Innenwände herausgerissen, mein Bett und der Rest meiner Habe in Fetzen.»
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