9. Juli 1885 – Die Kaninchenaugen-Prothese

Als ich den heutigen historischen Beitrag erstmals ungläubig las, packte mich gleich das Mitleid .. und das Grauen. Mitleid mit der armen jungen Patienten und dem betroffenen Kaninchen und Grauen bei der Vorstellung, was hier passiert ist.

Also, was war passiert? Wir schreiben das Jahr 1885 und die Medizin macht Fortschritte. Wie wir schon in einem früheren Beitrag gelesen haben, weiß der Mensch mittlerweile, dass Krankheiten durch Keime ausgelöst und übertragen werden können. Es gibt Impfungen, in wenigen Jahren wird Wilhelm Conrad Röntgen entdecken, wie man in den Körper hineinschauen kann, ohne ihn aufzuschneiden. Darüber hatte ich mal was in einem Zahnarzt-Beitrag geschrieben :D

Man verabschiedet sich jedenfalls von mittelalterlichen Körpersäfte-Vorstellungen und Aderlass ist nicht mehr das Mittel für alle Eventualitäten. Und man stellt Versuche an.

In diesem Fall hat in Paris der Mediziner Dr. Chibret einem Mädchen ein Kaninchenauge eingepflanzt. Das Mädchen litt an „hervortretendem Augapfel“ und Grünem Star. Grüner Star im jungen Alter – da liegt dann schon einiges im Argen und sie hätte ihr Augenlicht sowieso bald verloren. Der Arzt entschied sich, ihr Auge zu entfernen. Statt ihr aber ein Glasauge einzusetzen, wählte er wohl wegen der besseren Optik … ein Kaninchenauge. Das hatte er kurz zuvor einem Kaninchen entnommen.

Zwei Wochen später soll auch alles gut ausgesehen haben, es ließ sich bewegen und sah „fast normal“ aus. Die Quelle sagte, dass möglicherweise auch das Augenlicht zurückkehren könne. Das hat allerdings dann doch kaum jemand geglaubt ^^

Und das ist mit den damaligen Mitteln auch kaum möglich. Meines Wissens nach ist es auch heute nicht möglich, ein ganzes Auge funktionsfähig zu verpflanzen. Schon gar kein Kaninchenauge in einen Menschen.

Mein Gefühl sagt mir, dass die Patientin mit einem Glasauge doch besser dran gewesen wäre. Selbst wenn (falls) das Kaninchenauge tatsächlich an Ort und Stelle blieb, würde das doch sehr auffallen. Angewiderte Blicke wären ihr vermutlich sicher gewesen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass das fremde Auge mit der Zeit doch irgendwie verkümmerte und vermutlich zu Entzündungen führte.

Über diese Operation des Dr. Chibret habe ich übrigens online nichts Konkretes finden können. Auf Google Books gibt es allerdings einige Bücher, in denen aufgeführt wurde, dass ein Chibret so einen Eingriff 1885 durchgeführt hat. Etwa der Beitrag „Hans Przibram: Tierpfropfung – Die Transplantation der Körperabschnitte, Organe und Keime, in: Eilhard Wiedemann (Hrsg.), Die Wissenschaft, Band 75, unbekannter Ort, 1926″. Dort erfahren wir, dass Chibret der erste war, der diesen Eingriff durchgeführt hat, dass aber noch einige weitere gefolgt waren. Keiner davon war aber wirklich langfristig erfolgreich, auch dann nicht, wenn, wie bei Chibret, zuerst alles gut aussah. Am Ende wären nur „funktionslose Stümpfe“ geblieben.

Aber gut. Versuch macht kluch, wie man so hört, und ohne mutige Versuche würden wir alle noch in irgendwelchen Höhlen sitzen. Das Verpflanzen von Herzklappen aus Schweineherzen ins menschliche Herz ist jedenfalls gang und gäbe.

Trotzdem… ich hoffe, das Mädchen hatte noch ein angenehmes Leben.

Nordeutsche Allgemeine Zeitung, Morgenausgabe des 9. Juli 1885, S. 3, Quelle

(D a s M ä d c h e n m i t d e m K a n i n c h e n a u g e.) In der Pariser Akademie der Medizin brachte, wie die „Presse“ mitteilt, kürzlich Herr Béclard ein Schreiben des Dr. Chilbert [eigentlich Dr. Chibret] zur Verlesung, in welchem dieser von einer merkwürdigen Operation Mitteilung machte. Ein junges Mädchen musste auf einem Auge in Folge Hervortretens des Augapfels aus seiner Höhle und Grünen Stars operiert werden. Dr. Chilbert nahm das Auge aus der Höhle und ersetzte es durch ein unter gehöriger Vorsicht einem Kaninchen frisch Ausgeschnittenes.

Die Übertragung geschah am 5. Mai, und am 26. (dem Tage des Berichtes) nährte es sich an seiner neuen Haftstelle, bewegte sich und zeigte eine fast normale Konsistenz; die transparenten Teile sind kaum getrübt. Der Erfolg, sagt der Operateur, ist sehr zufriedenstellend; das Kaninchenauge ist jedenfalls einem Glasauge vorzuziehen, und nichts besage, dass es nicht auch noch zum Sehen tauglich werde.

Namentlich die letztere Bemerkung soll bei den sehr ernsten Herren Akademikern ein ungläubiges Lächeln hervorgerufen haben.

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One Comment

  1. Stefan

    Auch wenn ich unsere heutige Medizin teilweise mit ( hoffentlich) gesunder Sekpsis betrachte ( profitable Krankenhäuser und Ärzte die Deals mit Pharmaunternehmen haben etc.) bin ich froh, dass ich die Medizin unseres Zeitalters genießen darf und nicht die der damaligen Zeit. Was man so an Instrumenten sieht in Museen und welche Ideen und Vorgehensweisen da teilweise umgesetzt wurden reicht ja für eine ganze Horrorfilmreihe.

    Viele Grüße

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