2. Juli 1869 – Impfgegner werden bestraft

In diesem Beitrag im Neu-Stettiner Kreisblatt habe ich wieder einiges gelernt. Es geht um die „Impfreise“ eines Dr. Löwe, der in der Zeitung seine geplanten Impfstationen um den Ort Tempelburg in den nächsten Wochen bekannt gibt. Er scheint mehrmals wöchentlich von Dort zu Dorf zu reisen und dort die Impfungen zu verabreichen. Tempelburg ist das heutige polnische Czaplinek, es lag im preußischen Westpommern.

Waaaaaas, Impfungen? Im Jahre 1869?! Ja, tatsächlich! Das wusste ich auch nicht :D

Auf Wikipedia könnt ihr das nachlesen. Wenige Jahre zuvor war man erst auf die Idee gekommen, dass Krankheiten von Keimen ausgehen könnten, auch wenn der endgültige Beweis dafür noch ausstand – in dieser Zeit befinden wir uns hier noch!

Bei den Pocken hatte man aber schon viel früher beobachtet, dass nach einer überstandenen Pocken-Erkrankung die Betroffenen danach immun sind. Die Idee, eine solche Immunisierung präventiv zu erreichen, wurde schon 100 Jahre vorher, am Ende des 18. Jahrhunderts, entwickelt. Ein Junge wurde mit Kuhpocken infiziert und dadurch gegen gewöhnliche Pocken immun.

Bereits um 1800 war die Pockenimpfung offenbar bereits weit in Europa verbreitet.

Fun Fact: Der behandelnde Arzt Dr. Jenner nannte seinen Impfstoff, den er aus Kühen gewonnen hatte, Vaccine, von lat. vacca, „Kuh“. Das deutsche „Vakzin“, ein Synonym für „Impfstoff“, und der offizielle englische Begriff Vaccine stammen davon ab. :D

Im Text unten steht nicht, gegen was genau geimpft werden soll, und wie die Impfung abläuft. Wegen der weiten Verbreitung der Pockenimpfung nehme ich an, dass es sich hier auch um die Pockenimpfung handelt. Übliche Methode war wohl, die Haut des zu Impfenden anzuritzen und dann den Impfstoff in die Wunde zu geben – das und viel mehr über die Geschichte der Pockenimpfung erfahrt ihr hier.

Interessant ist in der Quelle, dass Eltern, die eine Impfung für ihre Kinder verweigern, eine Geldstrafe erhalten. Also scheint es bereits 1869 eine (lokale?) Impfpflicht gegeben zu haben.

Neu-Stettiner Kreisblatt, am 2. Juli 1869, S. 1, Quelle

Impfreiseplan des Dr. Löwe in Tempelburg

Die Impfung wird statthaben:
[hier werden verschiedene Termine und Dörfer aufgelistet, die Dr. Löwe bereisen wird – allerdings keine Ziele innerhalb der Ortschaften (Marktplatz?)]
Die Dörfer, in denen die Impfung beginnt, haben mir in Tempelburg vor meiner Wohnung früh 6 Uhr ein Fuhrwerk zu stellen und mich nach geschehener Impfung zur nächsten Impfstation weiter zu befördern; die Dörfer, in denen die Impfung beschlossen wird, haben mich nach Tempelburg zurückzusenden; die übrigen Dörfer aber haben für meine ungesäumte Weiterbeförderung zu sorgen.
Das aus einem Korbwagen bestehende Fuhrwerk muss mit zwei schnellen Pferden bespannt und mit einem Gesäß, oder einem festgestopften Sitzplatz versehen sein.
Tempelburg, den 29. Juni 1869. Dr. Löwe.
Der vorstehende Impfreiseplan wird hierdurch zur Kenntnis der betreffenden Dominien und Gemeinden gebracht, und es werden dieselben veranlasst, für die rechtzeitige Bestellung der Wagen sowie der Impflinge zu sorgen.
Die Eltern, welche ihre Kinder nicht pünktlich zur Impfung gestellen, oder demnächst die Abnahme der Lymphe zur weiteren Impfung verweigern, verfallen in eine Polizei-Exekutionsstrafe von 1 bis 2 Thlr., was die Schulzen ihnen noch besonders mitzutheilen haben.
[***] Stettin, den 1. Juli 1869. Der Landrath v. Busse.

Der Text ist ein interessantes Zeugnis dafür, wie bisher verheerende Krankheiten wie Masern und eben Pocken beinahe ausgerottet werden konnten. Wenn große Teile der Bevölkerung immun gegen eine Erkrankung sind, kann sich diese auch nicht mehr verbreiten. Zur Einführung der Pockenimpfung zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die Impfung in der Bevölkerung sehr gern aufgenommen worden – vermutlich war jede Aussicht recht, um sich und seine Familie zu schützen.

Dass wir uns heutzutage mit Impfgegnern herumschlagen müssen, ist also ein echter Rückschritt. Die Ansteckungsfälle mit Masern steigen unter anderem deswegen in den Industrieländern wieder. Von daher wäre eine Impflicht meiner bescheidenen Meinung nach wirklich sinnvoll, denn wer sich weigert, gefährdet ja nicht nur sich selbst, sondern ermöglicht so, dass Krankheiten, die es nicht geben müsste, sich wieder verbreiten können…


Anmerkungen, die ich selbst in den Text eingefügt habe, befinden sich innerhalb von eckigen Klammern: [meine Anmerkung]. Sternchen (*, Asteriske) zählen hier als Auslassungszeichen und bedeuten, dass ich Teile des des Textes nicht entziffern/erkennen konnte. Die Anzahl der Sternchen stehen möglichst für die Anzahl der ausgelassenen Zeichen.

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