7. Juli 1905 – Ärger in der Telegrammannahmestelle

Im heutigen historischen Zeitungsbericht geht es im weiteren Sinne um Telegramme :D

Telegramme waren die „SMS des 19. und 20. Jahrhunderts“: Kurz und knapp formulierte Nachrichten, die man teuer an einen Empfänger schicken konnte. Im Vergleich zur Post, die Briefe physisch über weite Strecken von A nach B transportierte und dafür mehrere Tage oder Wochen benötigte, waren Telegramme aber schon eine echte Erleichterung.

Was sind Telegramme?

Die Nachrichten wurden als elektrische Signale zwischen zwei Fernschreibern vermittelt und gelangten so in Sekundenschnelle an einen weit entfernen Ort.

Dieser Service stand auch Privatnutzern zur Verfügung: In Telegrammannahmestellen konnte jeder ein Telegramm aufgeben. Dafür war eine Grundgebühr plus ein Wortpreis fällig, so dass man sich, genau wie in der SMS, kurzfasste :D Übermittelt wurde an eine Empfängerstation in der Nähe des End-Adressanten, von dort aus brachten Boten die ausgegebene Nachricht an den Empfänger. Laut dem Wikipedia-Artikel zum Telegramm erreichte die Nachricht den Empfänger schon innerhalb von zwei Stunden nach Aufgabe des Telegramms vom Absender.

Auf dieser Website der Deutschen Post gibt es weitere Infos zu Telegrammen sowie ein paar berühmte Telegramme, die in die Geschichte eingegangen sind.

Und… ich habe dabei erfahren, dass es noch immer möglich ist, von der Post Telegramm verschicken zu lassen :D Ihr könnt die nicht im „Postamt“ (was für ein altes Wort…) aufgeben, sondern nur online. Der Spaß kostet mindestens 12,57 € – aber das Telegramm ist nicht als Alternative zu viel schnelleren und günstigeren Messengern gedacht, sondern eher als Service für eine besondere Gelegenheit. Wie früher wird die Nachricht dann auf einer Schmuckkarte physisch dem Empfänger ausgehändigt.

Allerdings langsamer als vor 100 Jahren: Dauerte es damals nur zwei Stunden, heißt es heute, dass die Zustellung am gleichen Tag erfolgt, wenn das Telegramm bis 3 Uhr nachts aufgegeben wird. Das liegt daran, dass für die Weiterleitung zum Empfänger keine speziellen Boten mehr eingesetzt werden, sondern das Telegramm kommt ganz normal mit dem Briefträger.

Unfug in den Telegrammannahmestellen

Der Beitrag vom 7. Juli 1905 erschien in der Berliner Volks-Zeitung und berichtet zunächst davon, dass in den öffentlichen Berliner Telegrammannahmestellen kein hochwertiges, rotes Löschpapier mehr zur Nutzung ausliege, sondern nur noch billiges graues Löschpapier. Die Kunden seien sehr betrübt über diese übermäßige Sparmaßnahme.

Die Behörde aber sagt, dass nicht Sparsamkeit Anlass zu dem Tausch gegeben habe, sondern eher, dass das rote Papier immer wieder für unmoralische Krakeleien verwendet worden seien. Es hatte sich offenbar die Unsitte eingebürgert, dass manche Strolche („Mutwillige, Geisteskranke“) irgendwas darauf schreiben und die Blätter dann liegen lassen, so dass jeder sie sehen kann.

Inwiefern das Austauschen dagegen Abhilfe bringen soll, kann ich nicht verstehen ^^ Es hat scheinbar auch nicht wirklich aufgehört.

Als nächstes berichtet der Artikel, dass aber auch versehentlich immer wieder Nachrichten liegen bleiben, die „Telegramme, die ihn nicht erreichten“. Also offenbar Telegrammformulare, die nicht abgeschickt und in der Behörde vergessen wurden.

Oh-oh, zum Glück hab es vor 115 Jahren noch keine DSGVO :D

Original-Zeitungsausschnitt
Berliner Volks-Zeitung am 7.07.1905, S. 1, Quelle

Vor einigen Jahren ließ die Telegraphenverwaltung das rote Löschpapier auf den zur öffentlichen Benutzung bestimmten Schreibtischen in den Telegrammannahmeräumen plötzlich durch ganz gewöhnliches graues ersetzen. Der Wechsel wurde von Vielen, die in diesen Räumen zu tun haben, unangenehm empfunden; es wurden Stimmen laut, die über die zu weit gehende Sparsamkeit der Behörde murrten. Das graue Löschpapier ist nämlich erheblich schlechter und demgemäß billiger als das rote.

Die Behörde ließ den Vorwurf nicht auf sich sitzen, sondern erwiderte, nicht aus Gründen der Sparsamkeit, sondern aus Gründen der M o r a l werde an den bezeichneten Orten fortan eine andere Gattung Löschpapier verwendet. Das rote Löschpapier, auf das man schreiben könne, sei vielfach von böswilliger Hand mit unsittlichen Aufschriften und Zeichnungen versehen worden. Um derartigem Unfug ein Ende zu machen, und zwar lediglich deshalb, sei das graue Löschpapier eingeführt worden.

Diese Rechtfertigung wurde unumwunden anerkannt; die Klagen über das graue Löschpapier hörten sofort auf. Dem angedeuteten Unfug freilich konnte durch den Wechsel des Löschpapiers nicht völlig der Garaus gemacht werden. Diejenigen, die sich in derartigen Scherzen gefallen, teils Mutwillige, teils Geisteskranke, gehen jetzt in der Weise vor, dass sie Telegrammformulare bemalen oder beschreiben und diese Kritzeleien liegen lassen. Unglaubliches Zeug wird da manchmal aufgelesen.

So wurde vor kurzem an einer hiesigen und sehr belebten Telegrammannahmestelle ein Formular gefunden, das die Worte trug: „Ich bin ein von der Polizei Gesuchter und habe gemordet. Jack, der Bauchaufschlitzer.“ Das eine Beispiel mag statt vieler dienen.

Zu diesen Erzeugnissen des Übermuts und des Irrsinns tritt aber noch eine Fülle von Telegrammentwürfen, die von ihren Urhebern in der Eile oder in der Zerstreuung vergessen werden. Diese „Telegramme, die ihn nicht erreichten“, gehören allen Gebieten an. Geschäftsleute geben auf diese Weise ihre Geheimnisse preis; Kummervolle verraten den Grund ihrer Sorge, Freudige die Ursache ihres Glücks; Liebende weihen in ihre Gefühle und in Zeit und Ort ihrer Begegnung ein.

Meist wirken solche nicht abgesandten Telegramme ergötzlich, weil der Urheber sich in der Regel verschrieben oder irgendeinen falschen Ausdruck gewählt hat.

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