6. Juli 1888 – Von Majestätsbeleidigung und grobem Unfug

Der Straftatbestand der Majestätsbeleidigung existierte in Deutschland bis Ende 2017. Majestäten beleidigt man eben nicht. Wegen der Böhmermann-Affäre wurde der Paragraph dann schließlich abgeschafft. Im 19. Jahrhundert war er natürlich noch brandaktuell.

Um eine Gerichtsverhandlung im Dunstkreis von Majestätsbeleidigung geht es auch im heutigen Beitrag aus einer historischen Zeitung :D

Kurz zur Vorgeschichte:

In Neustadt an der Weinstraße im heutigen Rheinland-Pfalz sollte ein Denkmal für Kaiser Wilhelm I. gebaut werden. Dazu wurde der Brauereibesitzer Grisel zur Zeichnung gefordert – ich nehme an, es ging um eine Grundstücksüberlassung o.ä., die Grisel unterzeichnen sollte.

Das sah Grisel aber nicht ein. Nicht für Kaiser Wilhelm. Für den preußischen Politiker Eugen Richter schon, sogar sehr gerne, aber nicht für Kaiser Wilhelm. Uff! Die Vertretung des Kaisers war nicht erfreut und versuchte, Grisel für seine Aussage zur Rechenschaft zu ziehen. Eine direkte Majestätsbeleidigung ließ sich nicht konstruieren, also bemühte man den sogenannten „groben Unfug„. Dafür wurde Grisel verurteilt, der ging aber in Berufung.

Unser heutiger Artikel berichtet nun erfreut darüber, dass Grisel dann freigesprochen wurde und der Autor regt sich darüber auf, dass sich Richter und Staatsanwälte mit solchen unmöglichen Kleinigkeiten abgeben. Seine Argumentation und Forderung, heutzutage „endlich“ mit dem richtigen Maß zu urteilen und nicht irgendwelche Fälle zu konstruieren, könnte genauso gut auch 100 Jahre später noch funktionieren :D

Ich habe übrigens gesucht, ob es das Denkmal heute gibt. Es konnte offenbar nur der Wilhelmsplatz gemeint sein, der 1886 angelegt wurde. Das würde dazu passen, dass unser Grisel 1888 freigesprochen wurde – solche Verhandlungen und Berufungen haben sich vielleicht schon damals hingezogen.

Freisprechung wegen groben Unfugs. Als in Neustadt in der Pfalz zu Zeichnung [Unterschrift?] für Errichtung eines Kaiser Wilhelm-Denkmals aufgefordert wurde, erklärte der Brauereibesitzer Grisel, dass er dafür nichts zeichne, und setzte hinzu: „Ja, wenn man Eugen Richter ein Denkmal setzen will, geb‘ ich gern 1000 Mark und einen halben Morgen Weinberg her.“

Eine Majestätsbeleidigung war nicht gut herauszufinden. Aber wozu ist der vom Reichsgericht erfundene „grobe Unfug“ da? Das Schöffengericht in Neustadt verurteilte den Bierbrauer zu 100 Mark Strafe, denn, führte es aus, die Gegenüberstellung von Kaiser Wilhelm und Eugen Richter, über den sogar in dessen Partei die Meinungen geteilt seien, ist – grober Unfug. Glücklicherweise gibt’s gegen Schöffenurteile Berufung, denn e i n gelehrter Richter und zwei simple Schöffen können sich irren.

Der Angeklagte legte Berufung ein, und die Strafkammer in Frankenthal sprach ihn frei. Dieses Urteil ist hocherfreulich und hoffentlich werden auf ähnliche Auflagen auch an anderen Orten ähnliche Urteile ergehen, so dass das Reichsgericht etwas kopfschen [?] werden und zu zweifeln beginnen wird, ob denn die von ihm erfundene Übertretung juristisch haltbar ist.

Man kann ja einräumen, dass die oben wiedergegebene Äußerung des Brauereibesitzers in Neustadt keine besonders taktvolle ist, und dass sie viel besser unterblieben wäre. Aber sind denn die Gerichte dazu da. jedem Belehrungsbedürftigen politischen oder patriotischen Takt zu lehren? Muss denn gleich der Staatsanwalt über jeden herfallen, der eine mehr oder weniger politische Dummheit macht? Müssen Strafrechtsdeutungen versucht und Notnageldefinitionen aufgetstellt werden, um jede unbesonnene und nicht lobenswerte Bemerkung unter den Generalbegriff vom „groben Unfug“ zu bringen?

Werden sich mehrere Staatsanwälte und unsere Gerichte nicht endlich daran gewöhnen, das alte gute Wort: „Minima non curat praetor“ [Bestandteil des römischen Rechts: Um Kleinigkeiten kümmert sich der Richtiger nicht -> Verfahren werden wegen Geringfügigkeit eingestellt] in seiner vollen Bedeutung anzuerkennen und zu seinem Recht kommen zu lassen?

Berliner Tagblatt und Handels-Zeitung am 6. Juli 1888, S. 1, Quelle
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