Die unersetzliche Schreibmaschine des Mediävisten

Ich muss hier unbedingt noch eine Anekdote anbringen, bevor ich für heute ins Bett gehe :D Es passt einfach soooo gut!

Einmal die Woche bin ich bei den Mittellateinern. Das sind absolute Schriftnerds, die sich mit den lateinischen Texten des Mittelalters beschäftigen – und zwar nicht mit den transkribierten und kommentierten Quelleneditionen, die der Feld-, Wald- und Wiesenhistoriker (so wie ich bisher) nutzt. Da schaut man sich ein Dokument ganz genau an, „jaaa, dieses b hat hier eine Verdickung, an der man genau erkennt, dass dieser Text nach dem 8. Jahrhundert entstand“. Ist total faszinierend! Wenn man erstmal all die Abkürzungen memoriert hat, die damals verwendet wurden.

Im Gegensatz zu heute, wo man z. B. „z. B.“ abkürzt, nutzten sie unter anderem merkwürdige Buchstabenneuschöpfungen, die ganze Silben zusammenfassten. Je nachdem, wie man ein „p“ schreibt, kann das per, pro oder prae heißen. Man lernt dabei defintiv fürs Leben! Eine dieser Abkürzungen ist auch heute noch gängig: Unser „&“ ist ein zumsammengeschrumpeltes „ET“ („und“ auf Latein). Lichter gehen auf!

Hier ein Beispiel: Ein Brief, der um das Jahr 1000 geschrieben wurde
Hier ein Beispieltext: Ein Brief, der um das Jahr 1000 geschrieben wurde. Was für eine Schönschrift!

Ja. Und während man nun in den beiden Übungen sitzt, klingen aus dem Nebenraum liebliche, beinahe längst vergessene Töne. Es ist eine Schreibmaschine. Das tack-tack-tack-tack dieses Dinosauriers ist heutzutage ja fast nur noch aus Film und Fernsehen bekannt (ich verweise auf die 60er Jahre-Serie Mad Men). Ich sitze also im Veranstaltungsraum, dessen Wände vor lauter Quellenliteratur von und über lateinische Überlieferungen nicht zu sehen sind, und kann mich kaum auf die weisen Worte des Dozenten oder die Farbkopie einer über 1000 Jahre alten Chronik vor mir konzentrieren, weil die Klänge aus dem Nebenraum mich in die 80er Jahre zurückversetzen. Wahrlich eine Zeiteise!

Wer war der Magier, der dies zu tun vermochte? Nach der Veranstaltung schaute ich auf das Schild an der geschlossenen Bürotür.

Prof. em. Dr. Dr. h.c.
Prof. em. Dr. Dr. h.c.

Ich wette drei Monatsgehälter, dass der Prof. em. (emeritiert, dh. in Rente) Dr. Dr. h.c. (honoris causa = ehrenhalber wegen besonderer Verdienste) als der Schreibmaschinentäter zu identifizieren ist. Welch griffiger Titel, der dem Ehrenprofessor der Mittellateiner mit ihren vielfältigen Abkürzungen allzu gerecht wird. Welch passende Art zu schreiben für einen Mediävisten, der sich mit 1000 Jahre alten Texten beschäftigt: Auf einem Schreibgerät, das seit 20 oder 25 Jahren nur noch im Museum zu bewundern ist!

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