Der Hambacher Forst und die Kohle – ein Trauerspiel

Derzeit erhitzt ein Wald alle Gemüter! Auch wenn gerade schon überall Hambacher Forst hier, Hambacher Forst dort zu lesen ist – ich möchte trotzdem noch etwas dazu schreiben. Ich habe ein paar Anmerkungen und Eindrücke, die du vielleicht noch nicht in den Nachrichten gesehen oder gehört hast.

Es gibt so viel Ungerechtigkeit auf der Welt. Dagegen kommt der kleine Hambacher Forst, dem die Abholzung droht, nun wirklich nicht so wichtig daher. Aber zumindest für mich wird er zum Kristallationspunkt meiner Frustration über den modernen Menschen und seine rücksichtslose Lebensweise. Die Vorstellung, dass der Wald am Ende wahrscheinlich doch umgesägt wird, mit all seinen jahrhundertealten Bäumen, macht mich gleichermaßen traurig und wütend.

Designerwald vs. Altwald

Erst jetzt im September hörte ich überhaupt erstmals von einem Hambacher Forst. Das Thema war davor einfach an mir vorbeigegangen. Bis wir vor 1,5 Wochen in Aachen waren, um erneut die Wander-App Hike & Seek zu testen. Beim Blick auf die Straßenkarte fiel mir ganz in der Nähe ein großer weißer Fleck auf, ein Niemandsland sozusagen: Der Tagebau Hambach. Erst dann erkundigte ich mich, um was es den Aktivisten im Hambacher Forst überhaupt geht.

Bevor wir uns dann wieder auf den Weg zurück nach Heidelberg machten, fuhren wir in Richtung Hambach, um mal zu schauen, was dort los ist. Wir gingen nicht davon aus, bis zum Wald zu kommen. Es war eine spontane Aktion, am nächsten Tag musste ich arbeiten und ich wollte auch nicht Stress mit der Polizei riskieren. Deswegen peilten wir die Sophienhöhe nördlich des Tagebaus an. Die Sophienhöhe ist ein 200 Meter hoher Hügel, rund vier Kilometer lang und etwa zweieinhalb Kilometer breit, der aus dem Abraum aus dem daneben liegenden Tagebau künstlich aufgeschüttet wurde. Auf der Fahrt dorthin kamen wir direkt westlich des Tagebaus an polizeilich gesperrten Zufahrtswegen in Richtung Wald vorbei.

RWE begann schon vor Jahrzehnten mit der Rekultivierung des Hügels. Das bedeutet: Sie pflanzten Bäume, legten Gewässer und Wege an und schufen neue Lebensräume  für Tiere. Heute ist die Sophienhöhe eine Art Naherholungsgebiet mit einem jungen Wald, das über viele Wege gut erschlossen ist.

Wir hofften, von einem Aussichtspunkt aus einen Blick über den Tagebau und den Hambacher Forst zu erhaschen. Erfolglos – vom „Römerturm“ am höchsten Punkt hatten wir eine tolle Fernsicht, konnten aber in der Nähe nur den Wald (auf der Sophienhöhe) sehen.

Aber egal – durch den insgesamt neun Kilometer langen Spaziergang (!) gewann ich einen guten Eindruck darüber, was Rekultivierung bedeutet. Das ganze hier erzähle ich, weil der Hambacher Forst der Vorher-Zustand ist und die Sophienhöhe ein Ausblick darauf, was nach der Abholzung und nach dem Kohleabbau kommen kann.

Rekultivierung auf der Sophienhöhe: Natur aus dem Katalog

Zunächst war ich überrascht. Der Wald auf der Sophienhöhe sieht fast echt aus. Naja, er ist echt, schließlich besteht er aus echten Bäumen und in den Seen gibt es kleine Inseln und echte Seevögel. Die Tiere dort haben ein sicheres Zuhause gefunden, es nisten sich weitere Vögel ein und wenn wir noch 200 Jahre warten, dann wird der Wald noch echter aussehen. Eine beachtliche Leistung, die die RWE-Landschaftsmenschen hier vollbracht haben.

Bagger im Tagebau Hambach
Einer der riesigen Kohlebagger im Tagebau Hambach (gesehen aus dem Gebiet der Sophienhöhe)

Aber auf den zweiten Blick wirkt dieser rekultivierte Wald zumindest jetzt noch wie ein künstlich angelegter Park – was er ja auch ist. Die Bäume stehen häufig deutlich in Reih und Glied, das Chaos (z.B. der Verlauf der Wege und Bäche) wirkt zu geordnet und insgesamt vermittelt dieser Wald (noch) einen Eindruck von „Designer-Wald“. Ich sehe vor meinem inneren Auge eine Arbeitsgruppe einen Katalog mit zur Verfügung stehender Flora und Fauna. Die dort gelisteten Bäume, Pflanzen und Tiere haben vermutlich Artikelnummern und wurden nach optimalen forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten im Rekultivierungsgebiet verteilt.

Dazu kommt noch mein spezielles, persönliches „Leid“: In Wäldern schaue ich immer nach historischen Wegen (Hohlwege) und alten Kreuzungen. Sowas gibt es nicht auf der Sophienhöhe. Der Hügel ist erst ein paar Jahrzehnte alt. Wer die Wanderwege dort bewandert, der hätte sich vor 50 Jahren noch 200 Meter über dem Erdboden befunden. Dieser Wald hat keine Geschichte und keine Geheimnisse – ihm fehlt die Seele. Zumal es dort nichts gibt, was nicht über eine Artikelnummer verfügt.

Sophienhöhe bei Hambach
Der Blick in Google Maps zeigt’s: Der Verlauf der Gewässer um die Sophienhöhe ist geradezu parallel

Hambacher Forst: Rest eines einzigartigen Ökosystems

Damit steht die Sophienhöhe in krassem Kontrast zum Rest des Hambacher Forstes, in dem es eine deutlich größere Artenvielfalt gibt. Vor dem Mittelalter waren weite Teile Mitteleuropas dicht mit Urwäldern bedeckt, die nie einen Förster oder einen Menschen überhaupt gesehen haben. Niemand hat eingegriffen, die Natur nahm einfach ihren Lauf. Deswegen gab es eine Fülle an verschiedensten Tier- und Pflanzenarten und damit ein Ökosystem, das sich selbst regulierte.

Spätestens im Mittelalter stieg der Holzbedarf aber explosionsartig an. Ganze Wälder wurden abgeholzt, um Baumaterial, Brennholz und Holzkohle zu gewinnen. Viele erhaltene Stiche von Städten und Burgen zeugen davon: So viele Hügel, die heute wieder bewaldet sind, waren im Mittelalter baumlos. Auch für die Landwirtschaft wurde gerodet. Lange Rede, kurzer Sinn: Seit sich der Mensch in Mitteleuropa breit gemacht hat, musste der Wald weichen. Oft wuchs er auch wieder neu, und wurde wieder neu abgeholzt, oder er blieb auch stehen – aber die Waldgebiete, die seit der „alten Zeit“, vor dem Zeitalter des Menschen, fortbestehen und nicht aus welchem Grund auch immer irgendwann abgeholzt oder bewirtschaftet wurden, sind sehr rar geworden.

Der Hambacher Forst ist einer dieser wenigen ursprünglichen Waldbestände. Laut Wikipedia bietet der Wald zahlreichen geschützten Tierarten Lebenraum und wird als „ökologisch wertvoll“ eingeschätzt. Und ich bin der Meinung, dass das etwas zählen sollte und nicht mit einem rekultivierten Wald wie der Sophienhöhe oder dem geplanten riesigen See verglichen werden kann.

Auf der Website von BUND ist detaillierter nachzulesen, warum der Wald so schützenswert ist.

Ein Wald wird zum Symbol für Gut gegen Böse

Der Hambacher Forst ist zu einem Symbol geworden, das für vieles steht. Im Wesentlichen aber dafür, dass viele Menschen es nicht mehr mittragen möchten, dass der Planet und alles darauf der unendlichen Gier des Menschen unterworfen wird.

Mit gierigen Menschen meine ich nicht die RWE – die hier nämlich ebenfalls zum Symbol geworden ist: Für den westlichen Menschen der letzten Jahrhunderte, der ohne zu fragen alles nimmt, was er kriegen kann – egal, was die Konsequenz ist und wer oder was darunter leidet. Anders gesagt: Es geht um Natur gegen Industrie, um grüne Harmonie und Frieden gegen Stahl und Zerstörung – oder ganz einfach: Um Gut gegen Böse.

Surface Mining Hambach 200800806
Hambacher Tagebau und Forst (im Vordergrund) (Quelle: Wikipedia)

Der Forst kann auch nichts anderes sein als nur ein Symbol. Es geht hier schließlich um eine vergleichsweise winzige Fläche von rund 100 Hektar, die abgeholzt werden soll. Der Regenwald wird jedes Jahr um ein zig-Vielfaches gerodet, und er ist noch weit älter und unberührter. Das stört uns in Mitteleuropa aber nicht so sehr – ist ja auch weit weg und so.

Was uns am Fall des Hambacher Forstes so reizt, ist, dass diese spezielle Rodung direkt vor unseren Augen passiert, obwohl wir uns doch für vernünftiger halten. Wir denken, dass wir als den Planeten beherrschende Spezies dazu gelernt haben und jetzt Verantwortung dafür übernehmen. Spätestens wir „Millenials“ (und alle danach) haben mit der Muttermilch aufgesogen, dass wir einer Klimakatastrophe entgegen trudeln und dass die Ressourcen knapp werden werden (ja, doppelt oO). Das ist tief verankert. Man kippt kein Altöl oder sonstiges Zeug in Flüsse und Meere! Das Ozonloch darf nicht größer werden! Wir müssen nachhaltig wirtschaften! Solaranlagen und Wärmetauscher auf die Dächer! Mehr Offshore-Windparks bitte!

Wir wissen es also alle. Und genau deswegen trifft es so tief ins Herz, dass direkt vor unserer aufgeklärten Nase für die schmutzigste Energiegewinnung überhaupt gerade die schützenswertesten Waldreste abgeholzt werden sollen. Und das mit Brief und Siegel, abgesegnet von der Politik und vorangetrieben durch einen großen Konzern.

Festhalten an schlechten Gewohnheiten

Auch die RWE hat ihre Argumente und es ist vollkommen klar, dass es nicht so einfach ist, 40 Jahre alte, bewilligte Pläne für den Tagebau einfach so spontan beiseite zu legen. Auf der RWE-Website erklärt der Konzern seine Sicht der Dinge, und in der Neuen Ruhrzeitung gibt es einen guten kritischen Kommentar, der erklärt, dass der Wald nicht stehen bleiben kann, nur weil ein paar Umweltschützer ihn erhalten wollen. Die Argumentation dort ist ungefähr die: „Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Und weil jeder weiß, dass das Hobeln so schädlich ist, wird es ja auch bald eingestellt, und dann ist alles gut. Und schaut mal in den Spiegel, ihr sündigt doch selbst alle!“.

Demnach sei es völlig egal, ob es um eine drei Jahre alte Weihnachtsbaumkolonie geht oder ein uraltes Naturreservat: Die Pläne stehen und müssen umgesetzt werden, und bald ist ja sowieso alles gut. Natürlich – aber es ist eben unverständlich, dass kurz vor Sperrstunde auch noch der letzte Urwald geopfert werden soll. Muss das wirklich sein? Oder kann man die Arbeitsplätze und die Energieversorgung nicht auch anders sichern?

In den 1970ern, als der Tagebau geplant wurde, mag die Sichtweise in Bezug auf Energieerzeugung noch anders ausgesehen haben. Aber die Zeiten haben sich geändert und der Kohleausstieg ist kein reines Schlagwort mehr – darüber wird aktuell hitzig diskutiert. Die Energiewende kam auch nicht völlig überraschend von jetzt auf sofort.

Je größer ein Unternehmen mit Gewinnabsicht, desto unwilliger ist es auch, über Jahrzehnte funktionierende Strategien zu hinterfragen. Immer wieder halten Konzerne an alten Verfahren fest, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass es Neuerungen geben wird. Das ist menschlich verständlich – und trotzdem fatal. Diesen Fehler hat auch RWE gemacht und nicht genug in erneuerbare Energien investiert. Auf der Wikipediaseite zum Unternehmen liest man diese Einschätzung:

Nach Ansicht von Kritikern sei die schlechte [wirtschaftliche] Lage [der RWE] jedoch auch eine Folge mehrerer gravierender Managementfehler. Das Management habe zu lange an der Atomkraft festgehalten, den Ausbau der erneuerbaren Energien systematisch unterschätzt und an Investitionen in die Kohlekraft festgehalten.

Quelle: Wikipedia / RWE

Auf der Managementebene von RWE kenne ich mich nicht aus, aber die aktuellen Ereignisse unterstützen diese Einschätzung. Kürzlich las man in den Medien, dass der Verzicht auf die Rodung des Hambacher Forstes den Konzern 4-5 Milliarden Euro kosten würde. Falls dem wirklich so ist, muss man sich fragen, warum sich ein Konzern so auf diese Gewinne aus längst verpönten Ressourcen verlassen hat . Und das, obwohl das Thema Energiewende nun wirklich nichts Neues ist und es in der Bevölkerung seit Jahren Widerstand gegen die Pläne gibt.

Es ist natürlich zu einfach, als Außenstehender im Nachhinein den Finger zu heben und zu sagen: „Selber Schuld, hättet ihr halt…“. Aber trotzdem kommt man nicht drumrum. Einem Konzern mit 446 Milliarden Euro Umsatz im Jahr muss man eine gewisse Voraussicht zutrauen können.

Energieversorgung und Gewinnmaximierung?!

In Utopia sollte das Thema Energie ganz anders funktionieren. Strom braucht jeder und er zählt meiner Meinung nach zu den Grundbedürfnissen in der westlichen Welt. Da Strom an sich keine unterschiedlichen Qualitäten haben kann, sondern immer gleich aus der Steckdose kommt, haben die Abnehmer keine Wahl darüber, was genau sie für Strom bekommen. Deswegen ist Konkurrenz nicht sinnvoll und ohne Konkurrenz ist auch eine Gewinnabsicht (moralisch) nicht sinnvoll.

Strom sollte einfach zur Verfügung stehen – in ausreichender Menge, aber in umweltpolitisch vertretbaren Mengen. Meiner Meinung nach sollte niemand mit Strom Gewinn erwirtschaften wollen – das Produkt ist eben immer gleich und jeder braucht es. Selbstverständlich soll jeder für den Bezug bezahlen, aber nur, um den Aufwand zur Energiegewinnung zu decken. Die Einnahmen sollten nicht als Gewinn gelten, sondern auch für die Erschließung erneuerbarer Energien genutzt werden, und dafür, dass weder Mensch noch Natur dadurch über die Maßen belastet werden.

Denn sobald Gewinnmaximierung hinter einem Unternehmen steht, kommt automatisch die Kostenminimierung dazu. Warum den Kohleabbau stoppen, wenn er doch gute, konstante Gewinne einfährt? Warum teuer in neue Systeme investieren, wenn es doch gut läuft?

Es mag blauäugig und wirklich seeeehr utopisch sein, aber warum investieren die Energiekonzerne nicht in die Raumfahrt? Riesige Sonnenkollektoren im All oder meinetwegen Atomkraftwerke auf dem Mond. „Jaaaa, aber das ist doch teuer. Und wie bekommt man den Strom dann zur Erde?“ – Setzt doch fähige Ingenieure dran und löst dieses verdammte Problem, oder denkt euch was anderes aus! Menschen sind schließlich findige Kerlchen. Zumal das ein Problem ist, das früher oder später sowieso aufkommen wird, denn irgendwann gibt es keine Kohle und kein Öl mehr. Es bringt doch nichts, stur an althergebrachten Systemen festzuhalten, wenn sowieso klar ist, dass sie ein Ablaufdatum haben.

Aktionen und Motive der Aktivisten

Nun noch ein kurzer Blick auf die Aktivisten und Waldbesetzer. Scheinbar sind vor einigen Tagen (erneut?) sehr unschöne Dinge über die Polizisten im Wald hereingeprasselt. Ich habe gar kein Verständnis dafür, wenn Aktivisten Scheiße werfen. Oder Steine, oder sonst was. Mit solchen Aktionen gefährden sie doch ihren eigenen Widerstand, das zeugt von mangelnder Reife! Sie wollen schließlich die Natur beschützen und stehen damit moralisch erstmal auf der richtigen Seite. Aber sich dann wie die Affen aufzuführen, was soll das bringen? Außer, dass die nur halb interessierte Öffentlichkeit sich abwendet und brummelt „Nun holt diese verdammten Hippies schon aus ihren Bäumen und spendiert ihnen eine Dusche. Und was haben überhaupt die Eltern falsch gemacht?“.

Bei solchen Leuten frage ich mich wirklich, warum sie gegen die Rodung protestieren. Haben sie den Wald an sich im Sinn? Oder den Wald als Symbol für Widerstand gegen das System ganz allgemein? Oder geht es ihnen vielleicht nur um die eigene Lebensweise in Gemeinschaften mit anderen „Aussteigern“? Dabei kommt mir dann das Buch „Die Kinder von Eden“ von Ken Follett in den Sinn: Eine Hippie-Kommune in einem abgelegenen Tal Kaliforniens wird von einem Staudamm bedroht, der ihr Land überfluten wird und sie daher zum Umsiedeln zwingt. Sie protestieren, indem sie den Behörden damit drohen, ein künstliches Erdbeben zu verursachen. Spannend, und es geht darum, wie sehr sich manche Aktivisten so sehr in ihren Widerstand versteigen, dass er am Ende in keinem Verhältnis mehr steht.

Ganz so schlimm ist es hier nicht. Aber während ich deutlich mit denjenigen Aktivisten sympathisiere, die den Hambacher Forst als ursprünglichen Lebensraum und als Symbol für die „neue Vernunft des Menschen“ erhalten wollen, kann ich mit denjenigen nichts anfangen, die nur ihre Baumhäuser und ihr Aussteigerleben beschützen wollen. Falls es solche Leute gibt – aber die Fäkalienwerfer lassen es vermuten. Baumhäuser kann man zur Not auch anderswo aufbauen, da zählt der Protest und „Spaß“ als Rebell gegen Recht und Ordnung vielleicht mehr als das größere Bild.

Demonstranten über Autobahnbrücke
Südlich des Hambacher Forstes: Demonstranten gehen über eine Autobahnbrücke zum Wald, teilweise mit jungen Bäumchen zum Einpflanzen (16.09.2018)

Und was machen wir nun?

RWE hat das juristische Recht, den Hambacher Forst zu beseitigen und die darunter liegende Braunkohle abzubauen. Nur weil man es kann und darf, heißt das aber nicht, dass man es auch tun sollte. Der Vergleich ist nicht perfekt, aber trotzdem muss ich ein wenig an die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Februar 1945 denken. Dresden war bis dahin von Bombardierungen verschont geblieben, weil es dort keine kriegswichtige Industrie gab. Im Februar war das Ende des Krieges abzusehen und in der Stadt sammelten sich Flüchtlinge, die vor der Front im Osten geflohen waren. Und trotzdem verwandelte ein alliierter Bomberangriff die Stadt in ein Flammenmeer. Es gab tausende Tote, die bis dahin intakte Stadt mit zahlreichen historischen Bauwerken war zerstört. Hätte das sein müssen? Muss es sein, auch den letzten Rest des Hambacher Forstes noch zu roden, für eine Ressource, die sowieso keine Zukunft hat?

Letztlich läuft die ganze Debatte auf diese Frage heraus: Muss das wirklich sein? Ist dieses Vorgehen heute noch zu vertreten? Gibt es wirklich keine anderen Lösungen, als einzigartige Ökosysteme umzuhauen, während man sich sowieso schon in einer Sackgasse befindet? Ich will nicht, dass Tausende Menschen ihren Job verlieren. Aber ich wünschte, RWE würde aufhören, ein unbezahlbares Ökosystem einfach als Hindernis zu sehen, das beseitigt werden muss. Würde RWE-Chef Schmitz mit der Schulter zucken und die Mona Lisa in den Kamin werfen, wenn ihm kalt ist, oder würde er erst im Keller nach anderem Brennmaterial suchen?

Im Moment habe ich nur eine Online-Petition unterschrieben und etwas Geld an BUND gespendet. Das ist immerhin etwas, wenn auch nicht viel mehr als eine Alibi-Aktion :-( Wichtig wäre auch, über Ökostrom als Alternative zum Standard-Energieanbieter nachzudenken. Das bedarf natürlich einigen Vertrauens in das betreffende Unternehmen, denn: Der Strom aus der Steckdose ist eben immer gleich. Du bekommst keinen Windstrom, sondern bezahlst nur dafür, dass entsprechend Windstrom ins Netz eingespeist wird. Wenn jeder Abnehmer Ökostrom kaufen würde, bräuchten wir keine Braunkohle mehr :D

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4 Comments

  1. Denkender Bürger

    Leider läßt der Beitrag einen elementaren Aspekt vollig außen vor:
    Die bergbautechnische Sicherung des Tagebau Hambach.
    Und genau diesr Aspekt ist die Ursache, daß es so und so keine Rettung mehr für den Hambacher Forst gibt.
    Ich habe dazu einen interessanten Artikel gefunden, der leider nur in einer lokalen Zeitung erschienen ist und daher von der Öffentlichkeit kaum wahr genommen wurde.

    https://www.aachener-nachrichten.de/nrw-region/bergbau-experten-hambacher-forst-ist-nicht-zu-retten_aid-32183455

    Oder sind die darin enthaltenen Aussagen einfach nur zu bitter, als das man sie in der Öffentlichkeit breittreten wollte?
    Womit sich die Frage auftut, was wohl besser ist:
    Die große Wahrheit, die niemandem nützt – oder die kleine Lüge, die vermeintlich niemandem schadet?
    Wie auch immer – der Hambacher Forst ist so oder so nicht mehr zu retten.
    Man täte daher wohl am besten daran, die Rodung des Hambacher Forstes als ntwendiges Übel zu akzeptieren, den Aufstand dagegen aus Einsicht in die Notwendigkeit zu beenden und – das ist ganz wichtig !!! – es künftig besser zu machen.

    1. Ravana

      Dieser Aspekt ist mir auch neu, danke für den Link und deine sachliche Betrachtung! Beurteilen kann ich die Einschätzung natürlich nicht, aber nehmen wir an, es stimmt, dass der Wald auf jeden Fall, auch bei sofortigem Stopp, abgeholzt werden muss – dann frage ich mich, warum damit nicht argumentiert wird. Das Bild, das RWE in der Öffentlichkeit zeichnet, ist: „Der Wald muss weg, weil wir sonst Verluste machen, aber wir bieten euch an, dass wir noch bis Dezember warten mit der Rodung“. Und: „Der Wald muss weg, weil wir sonst mit dem Zeitplan in Verzug kommen, und wir haben letztes Jahr schon aufgeschoben – der Bagger steht sonst bald untätig herum!“
      Deswegen sind die Proteste nicht nur ein Protest FÜR den Wald, sondern auch GEGEN Kapitalismus und Ignoranz gegenüber Umweltschutzthematiken.. Gerade das Beharren auf der harten Linie, ohne echte Diskussion, das ist vielleicht mittlerweile das Kernproblem für die verhärteten Fronten geworden.
      Würde RWE argumentieren, dass der Wald aus verschiedenen, nicht wirtschaftlichen Gründen nicht zu retten wäre (untermauert mit Gutachten, Einschätzungen und Konzepten), aber man die Perspektive der Protestierenden verstehen könne und ihnen mit X entgegen käme – dann sähe es vielleicht anders aus. Gesprächsbereiter und transparenter..

    2. Axel Ackens

      Na ja, Designerwald, zumindest ist es keine Waldplantage was man auf der Sophienhöhe gepflanzt hat.
      Teile davon sind auch schon etwas über 30 Jahre alt nur ca. 40 Jahre jünger als das was im Hambacher Forst überwiegend so steht, denn das der Baumbestand im Hambacher Forst schon uralt ist fällt unter „Märchen“. Es gab immer einen Hambacher Forst, der aber schon öfter im laufe der Geschichte kahl war, das letzte mal vor ca 70 Jahren.
      Bei uns in der Gegend fast sind fast 90% der Baumbestände nicht älter als ca. 70 Jahre, auch im Hambacher Forst, der 2. Weltkrieg hat hier fast völlig verbrannte Erde hinterlassen, dazu kommt noch das viel von dem was noch vorhanden war nach dem Krieg zum heizen verwendet wurde.
      In meinem Heimatort gab es mal gerade noch 5 Bäume die den WK2 überlebt hatten.

      1. Ravana

        Hallo Axel,
        danke für dein Feedback :)
        Zum Alter der Bäume: Das weiß ich natürlich nicht. Ich habe gelesen, dass die ältesten Bäume rund 350 Jahre alt sind. Wie viele das sind – keine Ahnung. Man kann bis zum letzten Detail ausdiskutieren, welcher Baum wie alt ist. Aber das ist nicht Sinn der Sache und für die aktuelle Situation ist es sogar irrelevant: Im allgemeinen Bewusstsein ist der Wald über 10.000 Jahre alt. Und auch RWE hat das Alter und die schützenswerte Ökologie nicht bestritten. Offenbar ist außerdem Tatsache, dass dort viele bedrohte Tierarten ihren natürlichen Lebensraum haben, den man ihnen wegnähme.

        (Inwiefern sie sich von Tausenden Aktivisten und Polizisten gestört fühlen, ist vielleicht auch noch eine andere Frage :D)

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