Peter Wohlleben – Das geheime Leben der Bäume

Dieses Buch erhielt von Lucyda 5 Sterne

Der Titel des Buches, das ich heute vorstelle, klingt ein wenig nach Verschwörungstheorie. Das geheime Leben der Bäume – das verheißt, dass es hier Wahrheiten zu entdecken gibt, die streng unter Verschluss gehalten werden. Dabei ist es umgekehrt: Das Buch enthält Beobachtungen und Forschungsergebnisse, die eben nicht geheim, sondern einfach nicht bekannt sind.

Wer hält es schon für möglich, dass Bäume lernfähig und sogar sozial sind? Dieses faszinierende Buch wird daher höchstwahrscheinlich deine Sicht auf Bäume und Wälder verändern! Weiter unten gibt es außerdem auch ein Waldspaziergangs-Video von Pierre und mir, in dem ich meine neuen Erkenntnisse direkt am Baum anwende :D

Cover Peter Wohlleben - Das geheime Leben der Bäume

Einleitung

Titel: Das geheime Leben der Bäume – Was sie fühlen, wie sie kommunizieren
Autor: Peter Wohlleben
Veröffentlichung (Bildband, 8. Auflage): 24. Oktober 2016
ISBN: 978-3-453-28088-5
Seiten: 330

Dem Autor Peter Wohlleben, ein Förster, merkt man an, dass er nicht nur „berufsmäßiger“ Förster ist, der vor allem den forstwirtschaftlichen Gewinn im Auge haben muss, sondern ein „berufener“ Förster, dessen Herz am Forst hängt. Deswegen setzt er sich auch für die wirklich ökologische und schonende Bewirtschaftung von Wäldern ein, in denen der Baum nicht als Produkt im Mittelpunkt steht, sondern als Lebewesen.

Und deswegen spricht er über die Bäume wie über alte Bekannte. Er versteht es, sie vom Rand der Wahrnehmung in deren Zentrum zu rücken und dabei das Individuum zu betrachten. Wohlleben verknüpft seine eigenen jahrzehntelangen Erfahrungen und Beobachtungen mit Forschungsergebnissen aus dem Labor und zieht seine Schlüsse daraus. So berichtet er davon, wie er einen völlig vermoosten Baumstumpf bemerkte, der offenbar mehr als 400 Jahre nach seiner Fällung noch immer am Leben war – ganz ohne Fotosynthese. Offenbar wird der Stumpf über die Wurzeln von den Nachbarbäumen weiter ernährt.

In Versuchen wurde nachgewiesen, dass Pflanzen dazu in der Lage sind, zu erkennen, mit welchen Nachbarn sich die Wurzeln verschränken. Sie können steuern, mit wem sie das tun und wen sie durch das Wurzelnetzwerk unterstützen. Wohlleben bezeichnet Bäume daher als sehr soziale Wesen, die sich gegenseitig helfen und sogar manche gefällte Bäume weiter am Leben halten.

Über Beobachtungen und erstaunliche Erkenntnisse wie diese handelt „Das geheime Leben der Bäume“. Wohlleben behandelt dabei in recht kurzen und daher gut eingängigen Kapiteln verschiedene Phasen im Leben der Bäume, spezifische Eigenschaften und auch Umweltbedingungen. Dabei liest sich das Buch alles andere als trocken und langweilig, sondern es steckt voller anschaulich geschilderter Überraschungen.

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Pflanzen „vegetieren“ nur herum? Ganz und gar nicht!

Schon nach wenigen Seiten im Buch wird klar: Wir müssen Bäume und Pflanzen ganz anders begreifen, als wir das gemeinhin tun. Nicht als stummes, vegetierendes Gewächs, das einfach da ist und das tut, worauf es programmiert ist: In die Höhe zu wachsen und Blätter und Blüten zu produzieren. Sondern tatsächlich als andere und absolut vollwertige Lebensform, die allerdings mit den „bewegten Wesen“ dieses Planeten, also den Tieren, nichts gemein hat. – Aber trotzdem faszinierend effizient auf ihre Umwelt reagieren können.

Wohlleben berichtet, dass Bäume eine Art von Sozialverhalten haben und durchaus ihre Nachbarn unterscheiden können. Dass sie sich durch Duftstoffe gegenseitig vor Insektenbefall warnen können, dass manche Baumarten über ganze Wälder hinweg abstimmen, in welcher Saison als nächstes geblüht wird und dass man sich nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ gegenseitig hilft. Außerdem sind Bäume und Pflanzen ganz allgemein lernfähig – das wurde in Versuchen nachgewiesen. Sie lernen auch, sparsamer mit Wasser umgehen zu können oder sich besser gegen die Sonne zu schützen, wenn das Klima zu heiß wird. Obwohl es für uns ein komplettes Rätsel ist, wie und wo Pflanzen das Erlernte speichern, wo sie doch keine zentrale Schaltstelle haben.

Das kann alles auch Zufall sein, bzw. eine „programmierte“ Reaktion auf bestimmte Reize. Das merkt auch Wohlleben an, gibt aber zu bedenken, dass das bei Menschen bzw. Tieren allgemein in letzter Konsequenz auch nicht anders ist. Nur, dass unsere Reaktionen eben anders aussehen.

Zwei völlig unterschiedliche Lebensformen auf einem Planeten

Betrachten wir doch Bäume mal nicht als stumme Riesen, die sich nicht bewegen. Sondern stellen wir uns vor, wir landen als gasförmiger Außerirdischer auf der Erde, der noch nie ein Säugetier oder eine Pflanze gesehen hat. Dort finden wir im Wesentlichen zwei Lebensformen vor: Diejenigen, die ihre Energie ganz unabhängig aus unbelebter Materie beziehen (also Pflanzen, die nur Wasser und Licht benötigen), und diejenigen, die sich durch den Verzehr anderer Lebewesen ernähren (also Tiere, die Pflanzen oder andere Tiere essen).

Wer unvoreingenommen (d.h. nicht als Mensch :D) auf Bäume schaut, muss nicht unbedingt auf die Idee kommen, dass sie nur „schmückendes Beiwerk“ auf dem Planeten sind. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass die robusten und langlebigen Bäume, mächtigere, auf jeden Fall aber weisere Lebewesen sind als Menschen, die früh sterben und den Planeten ausplündern. Wir können Bäume und Pflanzen nur einfach nicht verstehen, weil sie uns einfach viel zu fremd sind.

Wohlleben berichtet, dass Pflanzenwurzeln auf einer bestimmten Frequenz ein knackendes Geräusch verursachen – soweit nichts besonderes. Doch es wurde nachgewiesen, dass die Wurzeln anderer Pflanzen auf dieses Geräusch reagieren und sich danach ausrichten. Sie können es also wahrnehmen, also liegt die Annahme nicht so fern, dass über diese Geräusche kommuniziert werden kann.

Deswegen fragt sich Wohlleben, warum ausgeschlossen sein soll, dass Bäume und Pflanzen nur „vegetieren“. Es mag anders vonstatten gehen, aber nur weil wir es uns nicht vorstellen und es nicht verstehen können, heißt das nicht, dass Bäume nicht auch fühlen können. Er berichtet von Baumfreundschaften, von unterschiedlichen Charakteren und spezifischen Eigenarten einzelner Bäume.

Textseite aus Peter Wohlleben - Das geheime Leben der Bäume

Personifizierter Schreibstil macht aus Bäumen Charaktere

Dass sich „Das geheime Leben der Bäume“ so spannend und abwechslungsreich liest, liegt daran, dass Wohlleben es schafft, den Bäumen wirklich Leben und Persönlichkeit einzuhauchen. Er könnte auch wissenschaftlich verklausulieren und analysieren, doch er „personifiziert“ die Bäume und bringt sie uns so näher.

Bei Wohlleben sind Bäume keine Objekte, die zwangsläufig und passiv nur reagieren, sondern Subjekte, die ihre Umwelt aktiv wahrnehmen und auf aus nachvollziehbaren Gründen auf Ereignisse reagieren. Das Ergebnis mag das selbe sein, aber diese Form der Beschreibung wirkt lebendiger und ermöglicht es uns normalen Menschen, Bäume besser zu verstehen und uns bis zu einem gewissen Grad in sie hineinzuversetzen. Wohlleben zieht Vergleiche zwischen Mensch und Baum, beispielsweise zwischen Baumrinde und Haut, vermag es so, den Wald und seine Bäume spannend als Akteure vorzustellen.

Nach rund 150 Jahren hat der kleine Baum [eine junge Buche] sich so weit gestreckt, dass er langsam in die Krone der Eiche hineinwächst. Hinein und nach weiteren Jahrzehnten hindurch und vorbei, denn im Gegensatz zur Konkurrenz [eine alte Eiche, die schon vorher da war] kann er praktisch lebenslang seine Krone ausbauen und weiter wachsen. Nun bekommen die Buchenblätter direktes Sonnenlicht, sodass der Baum jede Menge Energie hat, um sich breitzumachen. Er bildet eine prachtvolle Krone, die artentsprechend 97 Prozent des Sonnenlichts einfängt. Die Eiche findet sich in der zweiten Etage wieder, wo ihre Blätter vergeblich nach Licht schnappen. Die Zuckerproduktion geht drastisch zurück, die Reserven werden verbraucht, und langsam verhungert der Baum. Er merkt, dass er sich nicht mehr gegen die starke Konkurrenz durchsetzen kann, dass es ihm nie wieder gelingen wird, lange Höhentriebe zu bilden und doch noch einmal über die Buche zu kommen. In seiner Not, vielleicht sogar aufflammender Panik, macht er etwas, was gegen jede Regel verstößt: Er bildet neue Zweige und Blätter tief unten am Stamm. Diese Blätter sind besonder groß und weich, sie vermögen mit weniger Licht auszukommen als jene aus dem Kronenbereich. Dennoch sind drei Prozent zu wenig, eine Eiche ist eben keine Buche.

Peter Wohlleben – Das geheime Leben der Bäume, Kapitel „Die Eiche – Ein Weichei?“

Wie wissenschaftlich und gesichert ist das Buch?

Klar, der Schreibstil regt auch zu Kritik an, denn personifizierte Bäume sind eine Interpretation und gaukeln vielleicht etwas vor, das es gar nicht gibt. Aber ich sehe das nicht so problematisch – denn obwohl wir es gern so hätten: Der Mensch versteht noch immer nicht alles auf dem Planeten. Auch die Tiefsee entzieht sich genauester Erforschung, und so kann es auch mit Bäumen sein, die wir zwar seit Jahrtausenden als Bau- und Brennholz nutzen, aber für die wir uns darüber hinaus nicht wirklich interessiert haben.

Außerdem zieht Wohlleben nicht nur eigene Beobachtungen und allgemein Bekanntes heran, um sein Plädoyer für die Bäume zu untermauern, sondern, wie erwähnt, auch wissenschaftliche Forschungserkenntnisse.

Das Buch ist kein Fachbuch für studierte Forstwissenschaftler, sondern für interessierte Waldgänger wie dich und mich. Entsprechend leicht ist es lesbar, aber wenn Wohlleben Forschungsarbeiten heranzieht, dann zitiert er sie auch. Über Fußnoten kann man sich auf einer Anmerkungen-Seite am Ende des Buches davon überzeugen, dass alles seine Richtigkeit hat und, wer das will, auch nach weiterem Lesestoff Ausschau halten.

Dennoch: Offensichtlich gibt es bei Pflanzen im Allgemeinen und Bäumen im Besonderen noch viel zu entdecken, was wir uns bisher nicht erklären können. Beispielsweise, wie das Wasser überhaupt aus den Wurzeln über zig Meter bis in die Baumkrone und Blätter eines großen Baumes gelangen kann. Wohlleben berichtet, dass die gängigen Erklärungen – Transpiration, Kohäsion und Kapillarkräfte – nicht ausreichen, um das zu erklären. – Wer mehr darüber erfahren möchte, kann im Kapitel „Rätselhafter Wassertransport“ des Buches mehr darüber lesen :-) –

Deswegen nehmen jedenfalls Beobachtungen einen wichtigen Stellenwert ein. Aber das reicht ja auch. Hätte nicht Isaac Newton den berühmten Apfel (womit wir wieder bei Bäumen sind :D) dabei beobachtet, wie er zu Boden fiel, dann hätte er sich nicht darüber Gedanken gemacht, warum das so ist. Deswegen sind Beobachtungen und das Stellen von Fragen so wichtig.

Bebilderung und Buchvarianten

„Das geheime Leben der Bäume“ gibt es in einer einfachen Textversion sowie in einer neuen Auflage als Bildband mit stimmungsvollen Bildern von den Hauptakteuren. Die Bilder sind faszinierend, aber leider oft unkommentiert, so dass nicht immer der Bezug zum Text erkennbar wird oder sie einen lehrreichen Effekt hätten. Hier hätte ich mir gewünscht, dass Wohlleben die Bilder besser mit einbezieht oder sie zumindest kurze Beschreibungen bekommen.

Dennoch halte ich den rund zehn Euro teureren Bildband nicht für Geldverschwendung, denn die Bebilderung ist sehr hochwertig und trotz des oft fehlenden direkten Bezugs passen sie eben doch sehr gut zum Text. Besser, als das Buch ohne Bäume vor Augen zu lesen :D

Weil das Buch damit nicht nur mit seinem interessanten Inhalt überzeugt, macht es als Bildband auch optisch einiges her und eignet sich deswegen auch ganz hervorragend als Geschenk für Wald- und Naturfreunde.

Bildseite aus Peter Wohlleben - Das geheime Leben der Bäume

Fazit zu „Das geheime Leben der Bäume“

Bewertung: 5 von 5 Sternen

Meine Wertung ist ganz klar: Empfehlenswert mit 5 Sternen! Wer gern im Wald unterwegs ist oder sich für die Phänomene der Natur interessiert, der sollte dieses Buch lesen. Es ist tatsächlich – wie es im Umschlag steht – ein neuer Blick auf alte Freunde und von der ersten bis zur letzten Seite spannend zu lesen. Ich habe nicht eine einzige Seite überblättert, weil jedes Kapitel und jedes Detail einfach richtig interessant ist.

Leider lassen sich viele der von Wohlleben beschriebenen Phänomene wie das Sozialverhalten von Bäumen in Mitteleuropa in den forstwirtschaftlich gepflegten Wäldern, die aus Gründen der Gewinnmaximierung sowieso nicht alt werden, kaum erkennen. Dass es bei uns keine „Urwälder“ mehr gibt, habe ich schon in meinem Beitrag über den Hambacher Forst bedauert, aber erst durch „Das geheime Leben der Bäume“ erkenne ich, welche Konsequenzen das tatsächlich hat. Der Eingriff des Menschen in das natürliche Biotop des Waldes verhindert, dass Bäume sich tatsächlich so „verhalten“ können, wie sie das ohne den Menschen tun würden.

Aber ist auch gar nicht so schlimm – Bäume können Jahrhunderte alt werden und sind geduldig. Vielleicht nicht der einzelne Baum, der unter schlechten Bedingungen zwar verkümmert, aber die Arten an sich. Wohlleben schreibt, dass sich die Bäume nach der letzten Eiszeit langsam, aber kontinuierlich wieder weiter nach Norden ausbreiten. Die Buche ist inzwischen in Südschweden angekommen, wo sie es aber durch den Eingriff des Menschen schwer hat:

Auch die Forstwirtschaft schränkt die Ausbreitung [der Buche] ein. So steht in Südschweden eine Fichten- und Kiefernplantage nach der anderen, wo eigentlich die Buche zu Hause wäre. Bis auf wenige Einzelbäume ist von ihr dort aber kaum etwas zu finden, aber sie steht bereit. Sobald der Mensch seine Finger aus dem Spiel nimmt, wird sie ihre Wanderung nach Norden wieder aufnehmen.

Peter Wohlleben, Das geheime Leben der Bäume

Durch das Buch habe ich tatsächlich etwas gelernt, das mich im Alltag ein wenig innehalten lässt. Ich schaue Bäume nun anders an und frage mich, wie es ihnen geht, ob sie Kontakt zu ihren Nachbarn haben und was sie wohl schon so alles erlebt haben :D Und es fasziniert mich mal wieder, welche erstaunlichen Mechanismen die Natur hervorgebracht hat.

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2 Comments

    1. Ravana

      Hey Beat,
      danke für deinen Kommentar :-) Ja, das Buch öffnet tatsächlich die Augen. Davor ist ein Baum nur ein Baum, durch das Buch sieht man ein perfekt an die Umwelt angepasstes Lebewesen. Einfach richtig empfehlenswert!

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